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Vorwärts in eine andere Welt

Bettina Kolb14. September 2002

Rund 20.000 Globalisierungskritiker haben am Samstag (14.09.2002) in Köln für mehr soziale Gerechtigkeit demonstriert. Bei einem Thema waren sich alle einig: Ein Krieg gegen den Irak müsse verhindert werden.

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"Krieg? Ohne uns, Mr. Bush!" - zehntausende demonstrieren in Köln für Frieden und soziale GerechtigkeitBild: AP

Köln, elf Uhr morgens: Afrikanische Trommeln hallen zwischen den Häusern wider. Punks mit grün und rot gefärbten Haaren, Hausfrauen und Väter mit Kindern tanzen vom Rhythmus getragen auf der Straße. Zehntausende Menschen sind an diesem wolkenverhangenen Tag in die Kölner Innenstadt gekommen, um für eine "andere Welt" zu demonstrieren. Zu der Aktion haben gesellschaftliche Gruppen wie das Netzwerk Attac, Friedensinitiativen und Gewerkschaften aufgerufen.

Politisierung von unten

"Es ist eine neue Politisierung. Es hat sicherlich noch nicht die gesamte Bevölkerung erreicht, aber es ist eine neue Qualität von Protest im Vergleich zu den leisen 90er Jahren", sagt Sven Giegold von Attac Deutschland im Gespräch mit DW-WORLD. Noch nie habe Attac in Deutschland so viele Leute auf einen Haufen gebracht wie an diesem Tag, freut sich Giegold.

Die Globalisierungsgegner von Attac und ihre Mitstreiter stehen seit den Protesten beim Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) im November 1999 in Seattle im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Die zentrale Forderung von Atac lautet: die ungerechte Umverteilung des Kapitals von unten nach oben, hin zu den globalen Konzernen, zu stoppen.

Angst vor Bomben

Doch neben sozialer Gerechtigkeit, der Arbeitslosigkeit und Globalisierungskritik dominiert ein weiteres Thema die Diskussionen in Köln: der drohende Krieg im Irak. "Ich habe Angst vor einem Krieg, Angst vor Bomben", sagt die blonde Mira. Sie sitzt auf der Erde und bemalt mit leuchtenden Filzstiften ein weißes Blatt Papier: "Wir wollen keinen Krieg!" ist zu lesen. Mira ist sieben Jahre alt.

Auf der Bühne der Friedensinitiativen spricht der Friedensaktivist Andreas Buro vom "Blutzoll", den die USA und Großbritannien in einem Krieg gegen den Irak bereit sind zu zahlen. Er nennt die Legitimation eines Krieges aus humanitären Gründen oder um die Menschenrechte zu schützen eine zynische Lüge. "Es gibt keinen gerechten Krieg", sagt Buro und erhält tosenden Beifall von den Zuhörern.

"Krieg ist Terror"

"Es geht meistens um Öl und Militärbasen", sagt der Friedensforscher Johan Galtung im Gespräch mit DW-WORLD. Galtung wurde 1987 mit dem alternativen Friedensnobelpreis ausgezeichnet und berät die Vereinigten Nationen in Fragen der Konfliktvermeidung. Mit seinem weißen Haarschopf und dem verschmitzten Blick erinnert er an Albert Einstein. Einen militärischen Alleingang der USA im Irak bezeichnet er als "Staatsterror". Vielmehr müssten alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte zusammenarbeiten, um die Konflikte im Irak und im nahen Osten "schöpferisch und gewaltfrei" zu lösen.

Die Zivilgesellschaft soll es richten

Dies sei nicht nur eine Chance für die EU, eine wichtige Vermittlerrolle einzunehmen, sondern auch für die Bürger auf der ganzen Welt. "Die zivile Gesellschaft ist eine Treibkraft, die Entscheidungen von Regierungen beeinflussen kann", sagt Galtung. Die Erfahrung habe gelehrt, dass die Politik die Forderungen großer sozialer Bewegungen mit einer Verzögerung von fünf Jahren aufnehme. "Der Druck aus der US-amerikanischen und europäischen Bevölkerung gegen einen Krieg im Irak muss stärker werden", sagt auch Clemens Ronnefeldt vom Internationalen Versöhnungsbund. Dann, so seine Einschätzung, könne der Krieg verhindert werden. Ansonsten drohe ein Flächenbrand, der vom Nahen Osten über Afghanistan bis nach Kaschmir reiche.

Politik - ja bitte!

Einige hundert Meter weiter zieht die Gewerkschafts-Jugend begleitet von dröhnender Technomusik durch die Straßen. Ihr wichtigstes Anliegen sind sichere Arbeitsplätze - und der Frieden. Eines ist offensichtlich: Diese Jugendlichen sind alles anders als unpolitisch. Sie wollen zur Wahl gehen; auch wenn sie wie die 20-jährige Christina noch nicht wissen, wen sie wählen sollen. "Irgendwie sind alle Parteien gleich", sagt sie und lacht verlegen. Die Jugendlichen glauben an sich selbst und daran, dass ihr Protest etwas verändern kann.