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Vorwärts Marsch zum Status Quo

15. Januar 2012

Taiwan hat gewählt - und Präsident Ma Ying-Jiu im Amt bestätigt. Die inzwischen fünfte freie Wahl beweist zweierlei: Taiwan möchte den Status Quo erhalten. Und: Demokratie ist auch in chinesischen Gesellschaften möglich.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)

Überraschend deutlich haben sich die Wähler in Taiwan für eine zweite Amtszeit von Amtsinhaber Ma Ying-Jiu ausgesprochen. Statt des erwarteten Kopf-an-Kopf Rennens hat der 61-jährige Professor am Ende einen komfortablen 6-Prozentpunkte-Vorsprung vor seiner Herausforderin Tsai Ying-Wen erkämpft.

Erleichterung

Matthias von Hein (Foto: DW)
Matthias von HeinBild: DW

Das Ergebnis wird nicht nur im Hauptquartier der herrschenden Guomindang-Partei gefeiert worden sein. In Peking und auch in Washington dürfte der Wahlausgang mit Erleichterung zur Kenntnis genommen werden. Denn das große Thema dieser Wahl - wie auch der vergangenen - war das Verhältnis zur Volksrepublik China auf der anderen Seite der Taiwan-Straße. Ma steht dabei für die Bewahrung des Status Quo. Der besteht darin, alle Merkmale eines souveränen Staates zu besitzen, ohne jedoch die formelle Unabhängigkeit von China zu erklären und von wichtigen internationalen Gremien ausgeschlossen zu bleiben. Weil zu den wenig verbliebenen Glaubenssätzen der ideologisch ausgehöhlten Kommunistischen Partei in China das gehört, was pathetisch die "Bewahrung der Einheit des Mutterlandes" genannt wird. Und zu dessen "unveräußerlichem Teil" rechnet Peking eben auch Taiwan. Deshalb zielen Tausende Raketen vom Festland auf die Insel. Und deshalb schreibt seit 2005 ein Gesetz für den Fall einer formellen Unabhängigkeitserklärung Taiwans die gewaltsame Wiedervereinigung vor.

Taiwan hat damit das Potenzial, China und seine Schutzmacht USA in Konfrontation zu bringen. In einer Zeit, wenn Washington Peking nicht nur als Geldgeber braucht, sondern auch zur Lösung der Krisen in Iran und Nordkorea, lagen die Sympathien des Weißen Hauses deshalb bei dem alten und neuen Präsidenten. Denn Ma hatte in den letzten vier Jahren eine bislang beispiellose Annäherung an die Volksrepublik China betrieben - unter dem Motto: Keine Wiedervereinigung, keine Unabhängigkeit, keine Gewalt. Zahllose Abkommen mit Peking haben den Kontakt beider Seiten revolutioniert. Der bilaterale Handel zwischen der Insel der 23 Millionen und dem Milliardenvolk ist auf 130 Milliarden Dollar gewachsen. Sieben Millionen Menschen reisen jährlich über die Taiwan-Straße. Und seit kurzem studieren 1000 Studenten aus der Volksrepublik auf der demokratischen Insel.

Ausstrahlung

Taiwan hat von der Öffnung gegenüber China wirtschaftlich profitiert. Es hat sich damit allerdings auch abhängiger gemacht von China. Aber der enge Austausch zwischen beiden Seiten lässt das demokratische Modell Taiwan auch nach China ausstrahlen. Wenn Vertreter der neuen chinesischen Mittelklasse auf Taiwan Urlaub machen und Zeuge werden, wie dort gesellschaftliche Konflikte in offenen Debatten ausgetragen werden, wird das Eindruck machen. Wenn sie erleben, wie auf Taiwan zum Beispiel Glaubensfreiheit gelebt wird und etwa Falun Gong-Anhänger ungestört demonstrieren können, wird das die Propaganda aus Peking in Frage stellen. Und dass mit Mas Amtsvorgänger Chen Shui-Bian ein ehemaliger Präsident wegen Korruption im Gefängnis sitzt, muss die von Korruption geplagten Festlandchinesen ebenso ehrfürchtig wie ungläubig auf das unabhängige Rechtssystem in Taiwan blicken lassen. Dazu kommt der wirtschaftliche Erfolg: Das kleine Taiwan belegt auf der Rangliste der größten Volkswirtschaften immerhin Platz 24.

Kurzum: Das Modell Taiwan macht gegenüber Peking und allen anderen Vertretern angeblich asiatischer Werte deutlich: Demokratie funktioniert auch in einer chinesischen Gesellschaft. Und sie steht nicht im Widerspruch zu wirtschaftlichem Erfolg. Die Bedeutung der Wahl auf Taiwan besteht vor allem darin, dass sie überhaupt stattgefunden hat.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Christian Walz