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VW: Die Wahrheit lag im Kofferraum

Stefan Reccius 7. Oktober 2015

Ein kleines Forschungsteam und eine Non-Profit-Organisation haben genauer hingeschaut als die Umweltbehörden und den Betrug bei Volkswagen aufgedeckt. Ein Besuch dort, wo alles begann.

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USA Schläuche aus dem Kofferraum des Testwagens in West Virginia
Der Kofferraum eines TestwagensBild: DW/G. Schließ

Mitunter kommen die großen Dinge im ganz Kleinen ins Rollen. Der Skandal um Millionen manipulierte Autos von Volkswagen ist so ein Fall. Nicht Umweltbehörden sind dem Betrug bei VW auf die Schliche gekommen, sondern ein kleines Forschungsteam an der West Virginia University in Morgantown.

Daniel Carder wartet schon auf dem Parkplatz vor dem Labor. Das mit Wellblech verkleidete Gebäude liegt unscheinbar in einer Senke auf dem Campus, leicht zu verfehlen zwischen Studentenwohnheimen und einer Großbaustelle. Durch ein Garagentor geht es direkt hinein in Carders Allerheiligstes. Drei Motoren unterschiedlicher Bauart füllen den Raum, denn hier wird nicht nur getestet, sondern auch an den Antrieben der Zukunft geforscht. Im hinteren Bereich steht ein vierter Motor, mit dem die US-Behörden seit Jahrzehnten Kraftstoffe für die Zulassung in den Vereinigten Staaten prüfen lassen. Der Geruch von Abgasen liegt in der Luft.

Ohne festes Budget

Carder führt die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo eine Apparatur zur Messung von Emissionen die ganze Garagenfläche einnimmt. Es ist das Herzstück des Labors - und lässt sich im Miniaturformat in den Testautos installieren. Auf dem Hof steht ein solcher Testwagen. Die Vorrichtung ist im Kofferraum verstaut, ein Generator so groß wie ein Schuhkarton surrt auf einer Auflage, die am Heck des Autos montiert ist.

Carder ist Interimsdirektor am Zentrum für alternative Treibstoffe, Motoren und Emissionen (CAFEE). Gerade einmal acht Ingenieure und Techniker arbeiten Vollzeit im Labor. Neun weitere Professoren unterrichten aktuell rund 30 Masterstudenten und Doktoranden. Ein festes Budget hat das 1989 gegründete Zentrum nicht - es ist auf Aufträge von Ministerien und der Industrie angewiesen. "Nicht einmal viele der Studenten hier wissen, dass wir existieren", sagt Masterstudent Nathan Fowler. Den meisten kommt, wenn sie das Akronym CAFEE hören, wohl eher ein koffeinhaltiges Heißgetränk in den Sinn.

Daniel Carder von der West Virginia University
Daniel Carder von der West Virginia UniversityBild: West Virginia University

Am 15. Mai 2014 veröffentlichten Carder und vier Kollegen einen ihrer vielen Forschungsberichte. "In-Use Emissions Testing of Light-Duty Diesel Vehicles in the United States" lautet der unspektakulär anmutende Titel. Welche Sprengkraft er besaß, sollte die Weltöffentlichkeit 16 Monate später realisieren. Die Forscher der West Virginia University hatten drei Testwagen - zwei der Marke Volkswagen, einer des deutschen Konkurrenten BMW - Hunderte Kilometer lang entlang der amerikanischen Westküste auf den Ausstoß klimaschädlicher Abgase untersucht. "Wir haben eine deutliche Diskrepanz zwischen den Werten, die im Alltagsbetrieb auf der Straße gemessen wurden, und denen, die wir aus dem Labor kannten, festgestellt. Die Emissionswerte im Labor waren um ein Vielfaches niedriger als im laufenden Betrieb", sagt Carder.

Manipulation und Wahrheit.

Und doch war es ein Zufallsfund. "Wir wollten eigentlich zeigen, dass die hier zugelassenen Autos genauso zuverlässig wie in Europa funktionieren, obwohl die Auflagen in den USA viel höher sind", so Carder. Die Umweltschutzbehörde EPA nahm daraufhin eigene Ermittlungen auf, was schließlich zum großen Knall führte und den deutschen Autobauer als Betrüger entlarvte.

Den Auftrag für die Untersuchungen hatte Carders Forschungsteam vom Internationalen Rat für sauberen Verkehr (ICCT) bekommen. Auch der ICCT ist eine kleine Organisation mit nur einigen Dutzend Mitarbeitern. "Wir wussten sofort, dass etwas faul war", sagt John German, Experte des ICCT.

Verschenkte Gelegenheit

Warum aber dauerte es fast anderthalb Jahre, bis die EPA offiziell Strafmaßnahmen einleitete? Volkswagen hatte zunächst selbst auf die Analysen reagiert: "Im Dezember 2014 teilten sie der EPA mit, dass einige Autos zurückgerufen wurden und das Software-Problem behoben sei", sagt German. Fünf Monate später aber stellte die kalifornische Luftreinheitsbehörde bei weiteren Tests fest, dass die Emissionen noch immer deutlich über den erlaubten Grenzwerten lagen. Warum VW die Gelegenheit nicht nutzte, die Manipulationen einzustellen und den ganz großen Skandal abzuwenden - für die Forscher ist dies das größte Rätsel. "Das ist der völlig unverständliche Teil", sagt John German. "Sie haben immer noch weiter versucht, es zu vertuschen." Bei seinem Kollegen Dan Carter fragte Volkswagen sogar Details der Tests an, als die Ergebnisse veröffentlicht waren. Aber Lehren zog Volkswagen daraus nicht.

Eine weitere Frage ist, warum der Betrug über Jahre unentdeckt bleiben konnte und dies wohl auch geblieben wäre, hätten nicht die Forscher in West Virginia in Zusammenarbeit mit der von Stiftungen finanzierten Non-Profit-Organisation ICCT eigene Untersuchungen angestellt. Immerhin verkaufte VW seit 2009 die betroffenen Autos, und einen ähnlich gelagerten Manipulationsfall hatte es in den 1990er Jahren in den USA bereits im Schwerlastverkehr gegeben. Die Umweltschutzbehörde EPA habe durchaus die Möglichkeit gehabt, Tests auch im normalen Straßenbetrieb vorzunehmen statt ausschließlich im bekannten Testmodus, sagt German. "Der Grund, warum sie dies nicht getan haben, ist, dass die Verkaufszahlen von Dieselfahrzeugen in den USA so niedrig sind", so German. Diese im Straßenverkehr zu prüfen, schien schlicht den Aufwand nicht wert zu sein.

USA Nathan Fowler und Kommilitone am Testgerät im Auto in West Virginia
Studenten forschen am TestgerätBild: DW/G. Schließ

Grenzwerte strikter als in Europa

Das hat sich geändert: Mittlerweile hat die Umweltschutzbehörde EPA reagiert und strengere Kontrollen angekündigt. Längst ist bekannt, dass die Manipulationen nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt sind, sondern rund elf Millionen VW-Fahrzeuge weltweit umweltschädlicher unterwegs sind als angenommen. Dass der Betrug nun ausgerechnet in Amerika aufflog, wundert German nicht. Nicht nur seien die Grenzwerte wesentlich strikter als etwa in Europa, auch habe der 1975 verabschiedete Clean Air Act Behörden wie der EPA weitreichende Befugnisse verliehen. "Die EPA kann die Hersteller zwingen, Autos zurückzurufen, und extrem hohe Geldstrafen verhängen", sagt German; im Falle VW ist von bis zu 18 Milliarden Dollar die Rede. "Die Behörden in Europa haben keine ausreichenden Befugnisse, solche Maßnahmen durchzusetzen."

Ob bald Betrügereien weiterer Autokonzerne ans Licht kommen? John German sagt, die ihnen bekannten Studien gäben keine Hinweise darauf. Der ICCT wolle nun aber stärker an die staatlichen Institutionen herantreten, etwa mit Empfehlungen. Derweil wird in Dan Carters Labor weiter getestet, geforscht und entwickelt. Er ist sicher, dass dieser Skandal nicht folgenlos bleiben wird: "Es werden seit einiger Zeit Änderungen bei den Testverfahren diskutiert. Ich bin sicher, dass die Erfahrungen mit Volkswagen Einfluss darauf haben werden."