1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

VW strebt Musterverfahren an

7. März 2016

Volkswagen will die vielen Anlegerklagen im Zuge der Abgas-Affäre mit einem Sammelverfahren vor Gericht schnell aus der Welt schaffen. Die entscheidende Frage bleibt: Seit wann wusste der Vorstand Bescheid?

https://p.dw.com/p/1I8N9
Volkswagen Abgasskandal Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

VW: too big to fail?

Es laufen bereits Klagen von Anlegern gegen den VW-Konzern. Nun hat VW selber einen Antrag auf ein sogenanntes Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig gestellt. Das geht aus einer Erwiderung des Autobauers auf Anlegerklagen hervor. VW selbst äußerte sich nicht dazu und verwies auf eine am vergangenen Mittwoch veröffentlichte Mitteilung.

Mit dem Musterverfahren will VW die Klagen von diversen Aktionären des Autobauers zurückweisen. Rechtsanwalt Andreas Tilp, dessen Kanzlei VW-Anleger vertritt, begrüßte den Vorstoß des Konzerns: Der Vorteil durch ein Musterverfahren sei für Kläger "besonders hoch, er erhöht die Siegchancen", sagte Tilp der Nachrichtenagentur AFP. In Musterverfahren habe seine Kanzlei bereits gegen die Telekom und die Bank HRE vor Gericht gewonnen.

Per Ad-hoc-Mitteilung muss informiert werden

Hintergrund für die Aktionärsklagen ist, dass alle börsennotierten Unternehmen durch das Wertpapierhandelsgesetz verpflichtet sind, die Aktionäre in einer sogenannten Ad-hoc-Mitteilung über wesentliche Ereignisse zu informieren, die Einfluss auf den Aktienkurs haben können. Die Ankläger werfen dem Autobauer vor, erst eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht zu haben, nachdem die US-Umweltbehörde EPA den Dieselskandal am 18. September 2015 öffentlich gemacht hatte, obwohl VW-Verantwortliche schon vorher über die Manipulationen informiert gewesen seien.

VW: too big to fail?

Am 22. September 2015 hatte der Volkswagen-Konzern dann zugeben, dass weltweit bei rund elf Millionen Dieselfahrzeugen eine Manipulationssoftware eingesetzt wurde, die den Stickoxid-Ausstoß im Testbetrieb als zu niedrig auswies. Dem Autobauer drohen nun Schadenersatz-Klagen in Milliardenhöhe.

Die VW-Aktie verlor nach Bekanntwerden des Skandals massiv an Wert. Die Aktionäre sehen sich wegen Verlusten an der Börse um viel Geld gebracht und klagen daher. VW hält die Klagen von Aktionären für unbegründet.

Seit wann der Vorstand Bescheid wusste…

Medien berichten darüber, dass der VW-Konzern darauf gesetzt habe, den Skandal um manipulierte Messwerte vor der Öffentlichkeit geheim halten zu können. Der Vorstand des Autobauers habe annehmen dürfen, mit den US-Behörden sei eine "Lösung" mit überschaubaren Strafen ohne Informierung der Öffentlichkeit möglich, berichteten die "Süddeutsche Zeitung" sowie NDR und WDR unter Berufung auf eine Stellungnahme von VW für das Landgericht Braunschweig.

Der damalige VW-Chef Martin Winterkorn und seine Kollegen seien kurz vor der Enthüllung der illegalen Praktiken durch die US-Umweltbehörde EPA über die Verstöße im Bilde gewesen, berichteten die Medien. Es habe damals aber ein "Geheimhaltungsinteresse" des Konzerns gegeben, hieß es in der Stellungnahme für das Gericht.

Hoffen auf "überschaubare Strafzahlungen"

Der VW-Schriftsatz für das Gericht legt dem Medien-Bericht zufolge nahe, dass der Vorstand sich die Chance offenhalten wollte, die Gesetzesverstöße auf Dauer geheim halten zu können. In dem Papier stehe, in den USA seien bei anderen Unternehmen solche Manipulationen mit "überschaubaren Strafzahlungen" geahndet worden, "ohne dass der Regelverstoß öffentlich bekannt, geschweige denn von den US-Behörden pro aktiv in die Öffentlichkeit getragen wurde".

Erst durch die "unerwartete" Bekanntgabe des Gesetzesverstoßes durch die US-Umweltbehörde am 18. September und den Hinweis der EPA auf die "theoretische Maximalstrafe" in Milliardenhöhe sei es zu den hohen Kursverlusten der VW-Aktie gekommen, heißt es dem Bericht zufolge in der Stellungnahme einer von VW beauftragten Anwaltskanzlei.

VW: den Vorstand trifft keine Schuld

VW sieht nach der bisherigen internen Aufklärung keine Ansatzpunkte für Anlegerklagen. Insbesondere sei die Behauptung falsch, den Vorstand könne eine Mitschuld treffen. Vielmehr glaubt VW beweisen zu können, dass der gesamte Vorstand erst wenige Wochen vor dem öffentlichen Auffliegen der Affäre von den Software-Manipulationen wusste. Andere Sichtweisen seien Behauptungen "ins Blaue hinein", argumentieren die Anwälte des Autobauers in der Klageerwiderung.

"Die Entscheidung, die Motorsteuerungssoftware zu verändern, wurde vielmehr von VW-Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneten Arbeitsebenen des Bereichs Aggregate-Entwicklung von Volkswagen getroffen", heißt es in der Klageerwiderung weiter. "Der Vorstand von Volkswagen hatte weder von der Programmierung der unzulässigen Softwareveränderung noch von deren späteren Einsatz in den betroffenen Diesel-Aggregaten Kenntnis, sondern erfuhr von dieser Thematik erst im Sommer 2015." Über das gesamte Ausmaß des Skandals mit elf Millionen betroffenen Wagen informierte der Konzern Ende September die Öffentlichkeit per Pflichtmitteilung an die Finanzwelt.

VW: juristischen Einschätzung als "defeat device" unklar

Nach VW-Darstellung war der Erkenntnisgewinn bis zur Gewissheit über die ganze Dimension kompliziert und langwierig. So hätten externe juristische Berater noch Anfang August 2015 keine Gewissheit über die Zulässigkeit der fraglichen Motor-Software gegeben. Demnach bewegte sich die juristische Einschätzung zu der Frage, ob die US-Behörden die Software als illegale Abschalteinrichtung (defeat device) sehen dürften oder nicht, in einer Grauzone, bei der die vorangegangene Rechtsanwendung "höchst subjektiv" und "inkonsistent" sei. Zudem hätten die eigenen Techniker die interne Aufklärung erschwert.

Erst ab Mai 2015 hätten sich auch auf der Führungsebene des Konzerns die Hinweise darauf verdichtet, "dass es zum Einsatz einer gegen US-Recht verstoßenden Software gekommen sein könnte". Daraufhin habe man den Druck "insbesondere durch Rückfragen bei Technikern der in Frage kommenden Abteilungen intensiviert", schreibt VW. "Diese internen Aufklärungsbemühungen, die durch das "Mauern" einzelner Techniker erschwert wurden, führten schließlich zu der Offenlegung der Softwareveränderung" gegenüber den beteiligten US-Behörden am 3. September des vergangenen Jahres. Auch danach habe es noch bis Ende des Monats gedauert, um Gewissheit über die Dimension zu haben.

Betrug schon seit Jahren?

Einen zentralen Auslöser für den Skandal sieht der Konzern im Zeit- und Kostendruck, der in der Motorenentwicklung geherrscht habe. Demnach wählten Volkswagen-Techniker den Ausweg über die illegale Software, da sie bei den Arbeiten für den Skandalmotor EA189 anders als früher nicht mehr auf legalen Wegen ans Ziel zu kommen glaubten. Das Ganze erfolgte demnach laut bisherigem Kenntnisstand schon im November 2006 und blieb auch so lange unentdeckt, da die Manipulation so günstig umzusetzen gewesen sei. "Diese Programmierung konnte insbesondere ohne Kostengenehmigung durch übergeordnete Stellen erfolgen, so dass es nicht verwundert, dass der Volkswagen-Vorstand erst Jahre später von der Softwareveränderung erfuhr", schreibt VW.

Der Konzern will in Ende April öffentlich über den Stand der bisherigen internen Ermittlung und Aufklärungsarbeit informieren. Für den 28. April ist die Jahrespressekonferenz geplant. Die verschobene Hauptversammlung ist mittlerweile auf den 22. Juni terminiert.

iw/hb (afp, dpa)