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Wachsamkeit geboten

Klaus Feldkeller21. Mai 2003

Steht Deutschland vor einer Deflation? Die Experten sind sich uneinig. Doch was ist Deflation überhaupt? DW-WORLD gibt Antworten.

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Deflation ist, wenn keiner Geld ausgeben willBild: AP

Wer freut sich nicht über ständig sinkende Preise: Ob Computer, Handys oder Lebensmittel, alles wird immer billiger. Warenhäuser und Discounter führen einen knallharten Kampf um jeden Kunden. Die Parole "Geiz ist geil" bestimmt unseren Einkaufsalltag. Denn den Verbrauchern liegt das Geld schon lange nicht mehr locker in der Tasche. Viele müssen jeden Cent drei Mal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Wer etwas auf der hohen Kante hat, hält sich mit größeren Anschaffungen zurück, weil er Angst hat, demnächst auf der Straße zu stehen. Doch was für jeden Einzelnen richtig ist (kaufen nur noch, was unbedingt notwendig ist), kann für die gesamte Wirtschaft verheerende Folgen haben - die Deflation, so zusagen eine auf den Kopf gestellte Inflation, der totale Kollaps.

Ein Teufelskreis

Deflation bedeutet zunächst die Unterversorgung einer Volkswirtschaft mit Zahlungsmitteln - im Gegensatz zur Inflation, bei der zu viel Geld im Umlauf ist. Die Folgen sind sinkende Preise. Güter und Dienstleistungen sind für das gleiche oder für weniger Geld zu haben als zum Beispiel vor einem Jahr. Die Unternehmen bringt eine Deflation in eine schwierige Lage, denn sie können die Preise für ihre Produkte nicht beliebig nach unten kalkulieren. Schließlich stehen auf der anderen Seite feste Lohn- und Kapitalkosten. Irgendwann wird die Produktion unrentabel: Arbeitsplätze werden abgebaut, Produktionsanlagen stillgelegt oder ins billigere Ausland verlagert, Löhne - wenn möglich - gekürzt. Firmen droht das Aus. An Neuinvestitionen ist in dieser Phase aufgrund der schlechten Geschäftsaussichten nicht zu denken. Fataler Effekt: Höhere Arbeitslosigkeit infolge gedrosselter Produktion, kaum Investitionen und niedrigere Löhne senken die zur Verfügung stehende Kaufkraft der privaten Haushalte weiter. Der Druck auf die Preise hält an, ein Teufelskreis beginnt.

Ruf nach Gegenmaßnahmen

Allerdings muss eine Volkswirtschaft einer Deflation nicht tatenlos zusehen. So kann die Notenbank des betroffenen Landes ihren Leitzins senken. Geschäftsbanken sind dann in der Lage, günstigere Kredite zu vergeben. Die Geldmenge wird größer. Investitionen lohnen sich im Idealfall wieder und der private Konsum steigt. Erst am Sonntag (18.5.) warnte der Internationale Währungsfonds (IWF) angesichts der schwachen Wirtschaftsentwicklung vor deflationären Tendenzen in Deutschland. Nicht zuletzt mit Blick auf Japan, dessen Volkswirtschaft seit rund zehn Jahren dahindümpelt und immer wieder ins Minus rutscht, rufen Experten zu Gegenmaßnahmen auf. Notwendig sei deshalb jetzt eine rasche Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank. Dies könnte dem Problem der Deflation - dass zu wenig Geld im Umlauf ist - entgegensteuern. Einige, wie Gustav Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, meinen sogar, "dass in Deutschland alle Ingredienzien für eine Deflationsentwicklung vorhanden sind."

Gemeint sind der Einbruch am Aktienmarkt, die lang anhaltende Stagnation, der wachsende Wert des Euro und zögerliche Reaktionen der Politik. Diese Faktoren hätten auch in Japan dazu geführt, dass Löhne und Preise immer stärker unter Druck gerieten. Zu deflationären Tendenzen dort meint der Ökonom der Allianz-Gruppe, Rolf Schneider: "Japan hatte sieben Jahre einer sehr schwachen wirtschaftliche Entwicklung zwischen 1992 und 1998 und erst 1999 begann wirklich eine deflationäre Entwicklung. Von daher glaube ich, dass wir nach zwei Jahren schwacher wirtschaftlicher Entwicklung die Sorge noch nicht haben müssen."

Keine eindeutigen Anzeichen

Ebenso verweisen Experten und die Bundesregierung darauf, dass von sinkenden Preisen auf breiter Front ja nicht die Rede sein könne. Steigende Löhne, Preise, Staatsausgaben und - Verschuldung widerlegten die These von der Deflation. Feststellbar ist aber auch, dass die Konsumfreude in Deutschland deutlich gebremst ist, alle Hoffnungen auf einen neuen Aufschwung zerstoben immer wieder. Und Preissteigerungsraten um ein Prozent gehören zu den geringsten in Europa. Zumindest Wachsamkeit dürfte geboten sein.