1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wachstums-Europameister Litauen

Jakob Lemke, dpa28. November 2003

Die Wachstumsraten der Wirtschaft Litauens verblüffen. Dennoch hat Litauen noch einen langen Aufholprozess vor sich.

https://p.dw.com/p/4NEP
Die größte Frachtfähre der Welt transportiert Güter zwischen Deutschland und LitauenBild: Transit-Archiv

"Made in Germany" verkauft sich gut in Litauen, und Gebrauchtwagen spielen dabei immer noch eine wichtige Rolle. Aber auch deutsche Kekse und Saft sind unter den 3,4 Millionen Litauern genauso beliebt wie russisches Mineralwasser. Eine wilde Mischung kommt da von der Ostsee in die EU, zum 1. Mai 2004 werden die baltischen Staaten Mitglied in der Union. Litauen als Wachstums-Europameister. Die Volkswirtschaft legte im vergangenen Jahr um knapp acht Prozent zu und ließ damit alle alten und zukünftigen EU-Staaten hinter sich.

"Die Steigerungsraten sind natürlich durch das niedrige Ausgangsniveau zu erklären", sagt Oliver Baake, Delegierter der deutschen Wirtschaft in Vilnius: "Litauen wird jetzt entdeckt." "Sehr dynamisch", schreiben Analysten nüchtern, wenn sie meinen: "Es ist Feuer drinnen." Vorzeigeunternehmen wie etwa der Kühlschrankhersteller Snaige kaufen bereits ausländische Firmen auf.

Eingeschalteter Turbo

Politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich - die ehemalige Sowjetrepublik verändert sich zwölf Jahre nach der wiedererlangten Unabhängigkeit in unglaublichem Tempo. Immobilienpreise zogen in den vergangenen fünf Jahren um 50 Prozent an, nicht zuletzt wegen neuer Kreditangebote ausländischer Banken. Das Durchschnittsgehalt verdoppelte sich im selben Zeitraum auf umgerechnet 300 Euro. Ausländische Direktinvestitionen machten zeitweise knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Baake spricht vom "eingeschalteten Turbo". "Die litauische Wirtschaft hat sich nach der russischen Rubelkrise 1998 konsequent in Richtung Westen gedreht." sagt auch Wilfried Seemann, Leiter der Vilniusser Filiale der deutschen Vereinsbank. Zwei Drittel des Außenhandels wickelt Litauen mittlerweile mit EU-Staaten ab, 20 Prozent - den offiziellen Statistiken nach - mit Osteuropa. "Die geographische Scharnier-Lage und die niedrigen Lohnkosten sind Litauens Argumente", sagt Baake.

Lebensqualität hinkt hinterher

Gerade dreißig von hundert Prozentpunkten in der Lebensqualität erreicht Litauen im gesamteuropäischen Durchschnitt, hat die Brüsseler EU-Kommission errechnen lassen. Landwirtschaft trägt noch immer mit sieben Prozent zur litauischen Volkswirtschaft bei und stellt jeden siebten Arbeitsplatz. Auf die verarbeitende Industrie entfällt 28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 41 Prozent erwirtschaftet der Dienstleistungssektor.

Lasertechnik, Computertechnologie, Tourismus - die litauische Politik nutzt regelmäßig zukunftsträchtige Schlagwörter, wenn sie internationale Eigenwerbung macht. Aber es sind die saisonale Veredelung von Mode, die Komponenten-Herstellung für Maschinen und Elektronik, die Wachstum erzielen. Und Energie: Die einzige Erdölraffinerie der Region steht in Mazeikiu, im Verbund mit der Ostseeverladestation Butinge zahlt der Öl-Komplex als größte Firma des Landes knapp ein Viertel der staatlichen Steuereinnahmen.

Litauen hat sich deutlich Richtung Westen ausgerichtet. Ein neues, westliches Energienetz soll die Abhängigkeit von Russland brechen, die Landeswährung Litas wurde an den Euro gekoppelt. In der Hauptstadt locken Neon-Reklamen von Nokia bis Mercedes. "Aufbruchstimmung", sagt Banker Seemann. Die Vereinsbank Litauen zählt unter ihren rund 300 Kredit-Kunden hauptsächlich einheimische Firmen.

Deutschland in Litauen

Auch die deutschen Handelskammern reagieren auf die rasante Entwicklung: Im Frühjahr solle eine baltische Außenhandelskammer mit Sitz in Tallinn entstehen und als Anlaufpunkt für die knapp 3.000 Firmen dienen, in denen deutsches Kapital steckt. Viele von ihnen warten bereits auf den zukünftigen Geldsegen aus Brüssel. Mit dem EU-Beitritt fließen europäische Mittel besonders in Bereiche wie Infrastruktur und Bau, Umwelt und Technologie. Trotzdem aber – da sind sich die Experten einig - wird es noch Jahrzehnte dauern, bis Litauens Leben auch ökonomisch dem von Westeuropa gleicht.