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Wagner - immer wieder falsch aufgeführt?

5. August 2009

Der Bayreuther Wagner-Dirigent Peter Schneider spricht über Bequemlichkeit, Gewohnheit und mangelnde Neugier seiner Zunft.

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Büste von Richard Wagner und das Festspielhaus in Bayreuth (Doppelbelichtung/ Foto: dpa)
Bayreuth - Inszenieren im Geiste Richard Wagners?Bild: picture-alliance / dpa

dw-world.de: Herr Schneider, man wundert sich immer, dass die meisten Wagner-Dirigenten so wenig von dem wissen, was Richard Wagner über die Aufführungspraxis seiner eigenen Werke geschrieben hat. Ist es nicht an der Zeit, dass man gerade in Bayreuth endlich einmal ernst nimmt, was er selbst über die Wiedergabe seiner Musik gesagt hat?

Peter Schneider: Ja, und nicht nur das, was in der Partitur steht. Ich habe damals, als ich hier in Bayreuth mit dem Regisseur Werner Herzog den "Lohengrin" einstudierte, den Briefwechsel zwischen Richard Wagner und Franz Liszt gelesen. Da stehen hochinteressanteste Dinge über die Aufführungspraxis des "Lohengrin". Zum Beispiel zur Aufteilung der vierstimmigen Geigen am Anfang des berühmten Vorspiels. Da schreibt Wagner, es sei leider nicht so gedruckt, wie er es sich vorgestellt habe. Ich habe das wörtlich genommen und habe die Partitur Wagners brieflichen Wünschen entsprechend geändert. Ich habe nichts an den Noten verändert, aber ich habe sie anders aufgeteilt. Die Musiker waren zuerst dagegen, weil sie es anders als gewohnt waren. Viele aufführungspraktische Traditionen gehen ja aufs Konto von Bequemlichkeit und Gewohnheit. Aber dann kamen doch einige Musiker zu mir und gaben zu, dass es sich mit den Änderungen leichter spielen lasse. Als ich auch den nächsten "Lohengrin" in Bayreuth dirigierte, musste ich feststellen, dass alles, was ich in die Partitur hineingeklebt hatte, wieder herausgerissen war.

Wie kommt so etwas?

Das liegt daran, dass wir Kollegen untereinander bedauerlicherweise in künstlerischen Fragen kaum je Kontakt haben. Ich habe mich damals wirklich sehr geärgert und verlangt, dass meine Änderungen wieder in die Partitur aufgenommen werden. Aber ich frage mich, warum ein Kollege nicht einfach bei mir anruft und fragt, warum ich diese Änderung vorgenommen habe, statt sie für eine willkürliche Eigenmächtigkeit zu halten, die rückgängig gemacht werden muss. Er könnte doch von solchen Korrekturen nur profitieren. Aber da wir Dirigenten keinen Kontakt untereinander haben, bleibt es bei nicht hinterfragten, verkrusteten Aufführungstraditionen. Wir sollten uns mehr austauschen, denn es gibt viele offene Fragen hinsichtlich der Aufführungspraxis Wagners, was Tempi angeht, die Besetzungsstärke, die Wahl der Instrumente und vieles andere mehr.

Müsste man nicht auch über den Wagnergesang einmal neu nachdenken? Sollte man nicht eher Wagner - seine eigenen Wunschvorstellungen beherzigend - aus dem Geist des Belcanto heraus zu singen versuchen anstatt nach der Devise "So laut wie möglich", wie es leider auch in Bayreuth heute üblich ist?

Wagner ist selber Schuld daran, dass viele Wagnersänger schreien, denn er hat sehr kräftig instrumentiert. Der Vorwurf, dass sein Orchester zu laut ist, war ihm vollkommen bewusst, deshalb hat er ja auch einen sehr speziellen Orchestergraben für sein Festspielhaus bauen lassen, in dem man einen sängerfreundlichen Mischklang herstellen kann, bei dem die Sänger auch ohne zu schreien übers Orchester kommen.

Aber nicht jeder Wagnerdirigent versteht es, die akustischen Bedingungen des Bayreuther Orchestergrabens optimal zu nutzen. Ob in Bayreuth oder anderswo: Es ist doch immer die Frage, wie man Wagner dirigiert. Es gibt Dirigenten, die zwingen die Sänger geradezu zu schreien und wortunverständlich zu singen, was in Bayreuth eigentlich nicht nötig ist.

Richtig, das ist in Bayreuth eigentlich nicht nötig. Das sagt man aber auch den Sängern, dass gerade die Artikulation, die deutliche Aussprache so enorm wichtig ist bei Wagner.

Aber bei vielen hört man nichts davon.

Mit einigen arbeiten wir sehr intensiv an Wortverständlichkeit und Artikulation. Aber manche Probleme haben oft rein gesangstechnische Gründe. Sie können einer Sängerin zwar sagen, dass sie mehr auf die Aussprache der Schlusskonsonanten achten soll, aber Sie können ihr nicht sagen: Du musst andere Vokalfarben singen. Das müssen Gesangpädagogen tun, die genau wissen, wie man rein gesangsphysiologisch Vokalfarben verändern kann. Das sind technische Probleme, die bei den Proben nicht mehr gelöst werden können. Da ist entweder in der Ausbildung etwas falsch gemacht worden oder die Stimme ist durch falschen Gebrauch kaputt gegangen. Nun muss man aber auch zugeben, dass es die Frauenstimmen in puncto Aussprache schwerer haben als die Männerstimmen.

Aber es gibt ja auch Beispiele außerordentlich wortverständlicher Wagnersängerinnen aus der Vergangenheit, gerade hier in Bayreuth. Denken wir an die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre.

Ich gebe zu, Wagnergesang heute ist auch in Bayreuth ein Problem. Wagner hat tatsächlich geträumt von so etwas wie einem "deutschen Belcanto". Aber davon sind wir heute weit entfernt.

Das Interview führte Dieter David Scholz

Redaktion: Aya Bach