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Bayreuth: Die nackten Tatsachen

Rick Fulker26. Juli 2016

"Sie fahren zu den Bayreuther Festspielen?!" Darauf folgt meist die eine oder andere Behauptung. Hier die neun häufigsten. Fakt und Vorurteil: Wir klären auf.

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Kunst im öffentlichen Raum Wagner-Figuren von Ottmar Hörl. (Foto: picture-alliance/dpa/T. Hase.)
Bild: picture-alliance/dpa/T. Hase

1. Während Normalsterbliche jahrelang auf eine teure Karte warten müssen, bekommen die Kanzlerin und andere Promis ihre einfach von der Festspielleitung geschenkt.

Nein. Die Stadt Bayreuth erhält ein Kartenkontingent und lädt Gäste mit gewissem Bekanntheitsgrad ein. Schließlich darf es bei der Auffahrt am Eröffnungstag - in diesem Jahr wegen des Amoklaufs in München allerdings ohne roten Teppch und Staatsempfang - etwas Glanz geben. Das Kontingent ist eine Gegenleistung für die finanzielle Unterstützung - Stadt, Bezirk, Land und Bund stiften einen beträchtlichen Anteil des jährlichen Festspieletats: von 16 Millionen Euro fast die Hälfte.

2. Nur Opern von Richard Wagner wurden je im Bayreuther Festspielhaus aufgeführt.

Stimmt nicht. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war Bayreuth unter US-Besatzung, zur Truppenbetreuung wurden dort auch Musicals gespielt. Auch die Neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven - ein Komponist, den Wagner verehrte - erklang immer wieder mal im Festspielhaus. Beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg zur Wiedereröffnung der Festspiele 1951. Ansonsten war in 139 Jahren Festspielgeschichte alles Wagner, ja.

3. Die Eintrittskarten gehen zu horrenden Preisen weg.

Kommt darauf an, was man unter "horrende Preise" versteht. Ab 190 Euro gibt es Sitze in der mittleren Lage. Das ist kein Pappenstiel, jedoch maßvoll im Kontext vergleichbarer Festivals. Plätze mit eingeschränkter Sicht gibt es sogar für 25 Euro. Wir reden hier aber nicht vom Schwarzmarkt. Da können die Preise schon vierstellig sein.

4. Die Bayreuther Festspiele sind ein Hort konservativer Interpretationen und eine Reverenz an die Altwagnerianer.

Absolut nicht. Bereits in den 1920er Jahren brach Festspielleiter Siegfried Wagner, Sohn des Komponisten, vorsichtig mit verkrusteten Regiekonventionen - zur Empörung der getreuen Fraktion, die nur einen Regiestil sehen wollte, wie auch Richard Wagner ihn gewünscht hatte. Siegfrieds Witwe und Nachfolgerin Winifred hat die Erneuerung fortgeführt.

Ab 1951 brachte Enkel Wieland Wagner seinerseits konservative Wagnerianer gegen sich auf. Wielands Bruder Wolfgang arbeitete pluralistisch: Unter seiner langen Ägide als Festspielleiter waren Stile und Interpretationen konservativ bis radikal, dezent bis provokant. In der Ära von Wolfgangs Tochter Katharina Wagner gibt es viel Regietheater auf dem Grünen Hügel: Regisseure, die Wagners Handlungen individuell deuten und sich Freiheiten nehmen - bei Szene und Personenregie versteht sich, nicht bei der Musik. Die Altwagnerianer sind übrigens inzwischen ziemlich ausgestorben.

5. Noch mal die Karten: Die gehen, wenn überhaupt, unter der Hand weg - und es sind immer dieselben, die Plätze haben.

Eigentlich nicht. Früher gingen Karten an Reisebüros und Wagnerverbände - und es gab zwei geschlossene Vorführungen für Gewerkschaftsmitglieder. Das ist aber Vergangenheit. In diesem Jahr werden nach Angaben der Festspiele Dreiviertel der 60.000 Karten frei verkauft. Für sämtliche Aufführungen können die Karten online erworben werden. Jeder Kunde kann bis zu sechs Tickets kaufen. Lange Zeit gehörte es auch zum Mythos der Richard Wagner-Festspiele, dass man jahrelang auf Karten warten musste. Nach wie vor geht aber auch ein Teil der Karten an Interessenten mit schriftlicher Bestellung - je häufiger man in diesem Verfahren schon vergeblich bestellt hat, desto höher die Chance auf eine Eintrittskarte.

Bayreuther Festspiele - "Tristan und Isolde" (Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath)
Die Protagonisten tragen schon lange keine Stierhörner oder Bärenfelle mehr.Bild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

6. Die Festspiele sind im Besitz der Wagnerfamilie.

Wieder falsch. Träger ist seit 1973 die Richard Wagner-Stiftung, zu der Richard Wagners Nachkommen gehören, zusammen mit diversen öffentlichen Instanzen und Stiftungen. Festspielleiter oder -leiterin war jedoch immer ein(e) Wagner, entweder mit Richard Wagner blutsverwandt oder angeheiratet.

7. Richard Wagner war ein Nazi.

Geschichtlich unmöglich. Er starb 1883. War er aber einer der Wegbereiter des Nationalsozialismus? Es stimmt nun, dass Wagner Antisemit und Deutschnationalist war. Er war aber auch mal Anarchist, mal Linksrevolutionär, europäischer Kosmopolit, Theoretiker, Praktiker und einiges anderes. Seine Schriften strotzen vor polarisierenden, auch widersprüchlichen Positionen. Dazu gehört auch das unsägliche Hasspamphlet "Das Judenthum in der Musik". Nach seinem Tod wurde es dann in "des Meisters Namen" deutlich Nazibraun in Bayreuth: Zu den Nazis der ersten Stunden gehörten seine Schwiegertochter Winifred (die Richard Wagner nicht kannte) und sein Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain. Adolf Hitler war ein gern gesehener Gast in Bayreuth - lange vor und auch nach der Machtergreifung. Gibt es aber nicht nationalsozialistische ideologische Ansätze in Wagners Musikdramen? Darüber wird gestritten, nachweisen lässt sich das nicht.

8. Bayreuth ist so etwas wie das Zentrum deutscher Kultur.

Nein, das Bayreuther Festspielhaus ist ein Theater und die Festspiele sind ein Saisonbetrieb. Deutsche Kultur ist föderal organisiert. Allerdings befindet sich das wichtigste Wagnerarchiv der Welt dort - im "Haus Wahnfried", dem einstigen Wohnhaus Richard Wagners. Das Museum, das seit 1976 dort beheimatet ist, wurde nach umfangreicher Restaurierung und Erweiterung am 26. Juli 2015 wiedereröffnet. Außerhalb der Festspielzeit gibt es auch ein Kulturangebot in Bayreuth - aber es ist nicht mit dem einer typischen deutschen Großstadt vergleichbar.

Richard Wagner-Skulptur von Ottmar Hoerl vor dem Bayreuther Festspielhaus (Foto: Reuters/Ralph Orlowski)
Letztendlich führt er immer noch die Regie hier.Bild: Reuters

9. Wagners Musik ist laut und seine Stücke lang - mit altmodischen Heldengeschichten.

Das wäre etwas undifferenziert gesehen. Wer fünf Stunden bei "Tristan", "Parsifal" oder "Götterdämmerung" sitzt, erlebt auch wunderschöne, filigrane, zarte Momente. Wagners Stories stammen zwar aus der germanischen Mythologie, dem Mittelalter oder aus Märchen. Dennoch sind die Nöte, in denen sich die Gott- oder Fabelwesen befinden, allzu menschlich. Es geht um innere und äußere Konflikte, Hass und Liebe, Treue und Verrat. Ziemlich modern also - und begreifbar. Wer die Musik auf sich einwirken lässt, erfährt zumeist, was Wagner mit dem "emotionalen Verständnis" seiner Werke meinte. Aber Vorsicht: Suchtgefahr!