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Wahl des Misstrauens

16. Juni 2012

Bei der Präsidentenstichwahl in Ägypten gab es bisher keine nennenswerten Zwischenfälle. Wegen der diffusen politischen Lage herrscht aber eine angespannte Atmosphäre. Inzwischen wurde das Parlament offiziell aufgelöst.

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Präsidentschaftswahl in Ägypten (Foto: AP)
Bild: AP

Die zweitägige Stichwahl um das Präsidentenamt in Ägypten verlief bis Sonntagmittag bei niedriger Wahlbeteiligung weitgehend friedlich. Das Militär mobilisierte rund 400.000 Soldaten, um die Sicherheit zu gewährleisten. Vor vielen Wahllokalen hatten Beobachter der beiden Kandidaten die Nacht verbracht, um mögliche Betrugsversuche zu verhindern. Die Wahlkommission hatte nach dem Ende des ersten Tages der Stichwahl am Samstagabend erklärt, die Wahl sei weitgehend sauber abgelaufen. Die Abstimmung geht an diesem Sonntag (17.06.2012) zu Ende. Sie wird laut Wahlkommission aber noch um zwei Stunden verlängert, so dass die Stimmlokale nun erst um 22.00 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit schließen.

Obwohl die Abstimmung reibungslos zu laufen scheint, ist die Atmosphäre im Land wegen der jüngsten politischen Entwicklung von Anspannung geprägt. Ein Gerichtsurteil, das die Auflösung des erst kürzlich gewählten Parlaments zur Folge hat, schürt den Argwohn der Menschen gegenüber dem regierenden Militärrat und lässt viele an einer demokratischen Entwicklung Ägyptens zweifeln.

Gestohlene Revolution

Ausdruck dieses Misstrauens könnte auch das offenbar geringe Interesse an der Präsidentenstichwahl sein. Es liegt nach Eindruck von Beobachtern vor allem am Frust darüber, dass sich die Ägypter nur zwischen einem Vertreter der alten Garde und einem aufstrebenden Islamisten entscheiden können. Zur Wahl stehen Ahmed Schafik, der letzte Regierungschef unter dem gestürzten langjährigen Machthaber Husni Mubarak, und Mohammed Mursi von der islamistischen Muslimbruderschaft.

Ägypten: Geringe Wahlbeteiligung

Viele Wähler stimmen nach eigenem Bekunden nicht für einen Kandidaten, sondern gegen den anderen. Sie wollen entweder Schafik als Repräsentanten des alten Systems verhindern oder befürchten zu starke islamistische Tendenzen unter Muslimbruder Mursi. Auf den Straßen waren resignierte Sprüche zu hören. Ein Händler im Kairoer Arbeiterviertel Imbaba sagte einem Reporter: "Man hat uns die Revolution gestohlen."

Aus dem Urteil des ägyptischen Verfassungsgerichts vom Donnerstag, wonach die jüngste Parlamentswahl ungültig war, wurde nun auch offiziell die Konsequenz gezogen: Der Oberste Militärrat löste das Parlament am Samstag formal auf. Der Vorsitzende des Gremiums, Hussein Tantawi, teilte in einem Schreiben mit, die Abgeordneten hätten ohne Genehmigung keinen Zugang mehr zum Gebäude.

Einschätzung zur Präsidentenwahl in Ägypten

Die Entscheidung der Verfassungsrichter löste in Ägypten und weltweit Befürchtungen aus, der Militärrat könnte an seiner Macht kleben, statt sie wie versprochen zum 1. Juli an eine zivile Regierung zu übergeben.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta äußerte seine Sorge in einem Telefonat mit Tantawi. Darin unterstrich Panetta, die Notwendigkeit eines "vollständigen und friedlichen Übergangs zur Demokratie".

Unklare Zukunft

Ob aus Ägypten aber in absehbarer Zeit tatsächlich ein demokratischer Staat wird, wie es sich die Demonstranten vom Tahrir-Platz nach dem Abgang Mubaraks erträumt hatten, bleibt vor dem Hintergrund der aktuellen Lage ungewiss, egal wie die Präsidentenwahl ausgeht.

Der Sieger der Stichwahl wird der fünfte Präsident Ägyptens seit dem Ende der Monarchie vor fast 60 Jahren. Erste Teilresultate dürften am Montag bekannt werden, mit dem amtlichen Endergebnis wird im Laufe der Woche gerechnet.

gri/wl (dapd, dpa, afp)