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Wahlen im "abtrünnigen" Taiwan

Gernot Jaeger11. Dezember 2004

Nach der knappen Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2004 wählen die Taiwanesen jetzt ein neues Parlament. China beobachtet die Abstimmung scharf, denn auch der Einfluss Pekings steht zur Debatte.

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Anhänger der Präsidentenpartei DDPBild: AP


Neun Monate nach dem Wahlsieg von Präsident Chen Shui-bian will das "grüne" Lager seiner Demokratischen Fortschrittspartei (DDP) jetzt erstmals auch die Mehrheit im Parlament gewinnen. Die hat bisher das "blaue" Lager der Kuomintang-Partei mit 115 von 225 Sitzen inne. Das Rennen ist bis zuletzt offen: "Ich wage keine Prognose", sagte der Münchner Taiwan-Experte Gottfried-Karl Kindermann vor der Parlamentswahl in Taiwan am Samstag (11.12.2004). "Es ist völlig unklar, wer diese Wahl gewinnen wird."

Abtrünnige Provinz oder souveräner Staat

Wahlen auf Taiwan Wahlplakate
Fußgänger auf einer Brücke mit WahlplakatenBild: AP

Die Wahl in Taiwan ist keine wie jede andere. Die Volksrepublik China betrachtet die Insel als "abtrünnige Provinz", die Teil ihres Staatsgebietes sei. Die Führung Taiwans will von Abtrünnigkeit hingegen nichts wissen. "Wir haben einen Präsidenten, der demokratisch gewählt wird, und wir haben ein Parlament, das demokratisch gewählt wird", sagt Joseph Wu vom Rat für Festlandsangelegenheiten in der Hauptstadt Taipeh. "Taiwan ist de facto unabhängig."

Streitpunkt Verfassungsreform

Wahlen auf Taiwan Mann mit Plakate
Wahlwerbung in TaipehBild: AP

De facto mag Taiwan unabhängig sein, de jure ist die "Republik China" - so der offizielle Name - es nicht. Darin liegt der Ausgangspunkt der wichtigsten Konfliktlinie der taiwanesischen Innenpolitik wie auch des aktuellen Wahlkampfes. Das "grüne" Lager des Präsidenten und seiner DDP strebt eine neue Verfassung - die "Verfassung eines eigenständigen Volkes" - an. Allerdings hat Präsident Chen wiederholt versprochen, er werde den Landesnamen unangetastet lassen. Aus der "Republik China" soll also - zumindest vorerst - nicht die "Republik Taiwan" werden. Alles andere wäre eine Provokation für Peking. Wenige Tage vor der Wahl drohte ein Sprecher der dortigen Regierung noch einmal, die Volksrepublik werde alle Unabhängigkeitsbestrebungen "um jeden Preis verhindern" - Krieg nicht ausgeschlossen.

Taipei will nicht beidrehen

Militärische Übung in Taiwan
Militärübung in TaiwanBild: AP

"Peking kocht vor Wut", sagt Taiwan-Experte Kindermann. Denn der taiwanesische Präsident Chen Shui-bian und seine DDP ließen keine Gelegenheit aus, zu testen, wie weit sie gehen können. "Präsident Chen will die Unabhängigkeit", sagt Kindermann: "Mit einer Mehrheit im Parlament könnte er diesen Plan vorantreiben, ungeachtet dessen, das derzeit 80 Prozent der Taiwanesen mit dem Status Quo zufrieden sind." Die Gefahr eines Konfliktes mit Peking muss Chen dabei bewusst sein. Er will aber nicht klein beigeben, sondern sich gegen einen Angriff rüsten. Auch dies ist ein innenpolitisches Thema. Die Regierung will für rund 15 Milliarden Euro in den USA modernste Waffensysteme kaufen. Gegen diese Pläne gingen vor drei Monaten in Taipei allerdings mehr als 100.000 Menschen auf die Straße.

Peking macht Druck auf die USA

Trotz allen Säbelrasselns verhält sich Peking derzeit doch ruhiger als bei früheren Wahlen. Noch vor wenigen Jahren ließ die Volksrepublik während des Wahlkampfes in der Straße von Taiwan Manöver durchführen - gerade einmal 60 Kilometer vor der "abtrünnigen Provinz" entfernt. Gebracht hat das wenig, die letzten beiden Präsidentschaftswahlen gingen an die DDP. Dieses Mal macht Peking Druck vor allem über den Umweg USA. "Die chinesische Führung nutzt jede Gelegenheit, den USA und Präsident George W. Bush ihre Position klar zu machen", sagt Kindermann. "Und die lautet: 'Es ist uns ernst. Wenn Taiwan zu weit geht, müssen wir handeln'". Damit seien die USA zwangsläufig in der Verantwortung, schließlich seien sie es, die für die Sicherheit Taiwans garantierten. Um einen Konflikt mit Peking zu vermeiden, müssten sie zwangsläufig mäßigend auf die Regierung in Taipei einwirken.

Eine klare Mehrheit für politische Stabilität


Wie all dies den Wahlkampf beeinflusst hat, wird sich erst sagen lassen, wenn die Stimmen ausgezählt sind. Für Kindermann kommt es erst einmal darauf an, dass es überhaupt einen Sieger gibt. "Das schlimmste wäre, wenn keines der Lager eine absolute Mehrheit erreicht", sagt er. "Dann könnte eine kleine Gruppe Unabhängiger bei jeder Abstimmung das Zünglein an der Waage spielen. So lässt sich keine politische Stabilität erreichen."