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Wahlen im Schatten der Gewalt

Thomas Kohlmann12. Dezember 2002

Im west-indischen Bundesstaat Gujarat wird gewählt. Seit Jahresanfang sind dort bei den schlimmsten religiösen Ausschreitungen, die Indien in den letzten zehn Jahren erlebt hat, Tausende Menschen umgekommen.

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Vor den Wahlen: <br>Gujarat im BelagerungszustandBild: AP

Entschieden wird die Wahl am 12. Dezember zwischen den beiden größten Parteien, der Bharatiya Janata Party (BJP) und der Kongresspartei, die nach einer Reihe von Wahlsiegen nun in 15 von 28 Bundesstaaten den Ton angibt. Schlüsselfigur im Wahlkampf ist Regierungschef Narando Modi, der starke Mann der BJP in Gujarat. Der Geschäftsmann und Hindu-Hardliner gilt als Scharfmacher, der von seinen politischen Gegner für eine Reihe von Massakern an Muslimen verantwortlich gemacht wird.

Unruhen seit Februar

Unruhen in Indien
Unruhen in Ahmedabad (März 2002)Bild: AP

In Gujarat sind seit Ende Februar nach inoffiziellen Schätzungen bis zu 3.000 Menschen bei Anschlägen und Pogromen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Muslime. Die Unruhen hatten im Februar mit einem Brandanschlag von muslimischen Extremisten auf einen Zug mit Hindupilgern begonnen, bei dem 59 Menschen ums Leben kamen. In den Wochen danach gab es zahlreiche Pogrome, die sich vor allem gegen die muslimische Minderheit richteten.

Eine Untersuchungskommission hatte die Massaker an Muslimen als "Massenmord" bezeichnet. Die Kommission aus ehemaligen Bundesrichtern, Polizeioffizieren und Menschenrechtsaktivisten hatte Ende November in ihrem Abschlussbericht die strafrechtliche Verfolgung mehrerer Regierungsvertreter Gujarats gefordert, auch gegen Regierungschef Narendra Modi. Die Behörden hätten die Übergriffe gegen Muslime zum Teil organisiert und seien maßgeblich mitverantwortlich.

Augenzeugen hatten berichtet, die Polizei in Gujarat habe dem fanatischen Hindu-Mob an vielen Orten freien Lauf gelassen - in manchen Fällen sollen sich sogar Polizisten an den Ausschreitungen beteiligt haben.

Ende September waren die Unruhen wieder aufgeflammt, nachdem islamistische Terroristen einen Tempel überfallen und ein Blutbad unter Hindus angerichtet hatten. Seitdem versucht die indische Zentralregierung durch die Entsendung von Truppen und die Verhaftung bekannter Hindu-Extremisten die Lage in den Griff zu bekommen.

Zwischen Wirtschaftswunder und Bürgerkrieg

Gujarat liegt im Westen Indiens, ist mehr als halb so groß wie Deutschland und grenzt an Pakistan. Von den rund 50 Millionen Einwohnern sind am 12. Dezember knapp 33 Millionen wahlberechtigt. 75 Prozent der Bevölkerung sind Hindus, neun Prozent Muslime.

Gujarat ist der am zweitstärksten industrialisierte Bundesstaat Indiens, dessen Wirtschaft mit durchschnittlich acht Prozent in den vergangenen zehn Jahren schneller gewachsen ist als im Landesdurchschnitt. Das könnte sich ändern, wenn die Unruheprovinz weiter Negativ-Schlagzeilen macht: "Seit die Unruhen im Frühjahr begonnen haben, überlegen sich Investoren zweimal, ob sie sich in Gujarat engagieren wollen. Politische Unruhen, ganz gleich ob sie unter einem ethnischen oder einem religiösen Deckmantel getarnt sind, schrecken Unternehmer eben ab", sagte Subrata Mitra, Direktor des Heidelberger Südasien-Instituts, im Gespräch mit DW-WORLD.

Hindu-Partei am Scheideweg?

Die BJP – immerhin die Partei des indischen Regierungschefs Vajpayee, der in Neu-Delhi eine Koalitionsregierung anführt - sehen dennoch viele auf dem absteigenden Ast - besonders seit eine Reihe von Wahlen in anderen Bundesstaaten verloren gegangen ist. Durch die Niederlagen geschwächt, entscheidet die Wahl über das weitere Schicksal der Hindu-Nationalisten. Wenige Tage vor dem Urnengang lag die BJP nur noch knapp vor der gemäßigten Kongresspartei. Im kommenden Jahr stehen Wahlen in zehn Bundesstaaten an und 2004, bei den Wahlen für das indische Unterhaus "Lok Sabha", rechnen sich die Führer der Kongresspartei nach 15 Jahren Regierungsabstinenz gute Chancen aus.

Spiel mit dem Hass

Das Massaker im Pilgerzug von Godhra dominierte den gesamten Wahlkampf. Mit heftigen Angriffen auf die Kongresspartei und deren Chefin Sonia Gandhi versuchte Landesfürst Modi Punkte zu machen. Die Witwe des 1991 ermordeten Premierministers Rajiv Gandhi ist Katholikin und gebürtige Italienerin – und für radikale Hindus genauso hassenswert wie die muslimische Minderheit, die nur als Anhängsel des Erzfeindes Pakistan angesehen wird.

Die Wahlen in Gujarat sind Richtungswahlen. Doch das Schreckgespenst westlicher Beobachter, die bei einem Sieg der BJP eine Machtergreifung der "Hindu-Faschisten" in ganz Indien sehen, die das Ende des Viel-Völkerstaates Indien einläutet könnte, sieht Indien-Experte Mitra vom Heidelberger Südasien-Institut nicht: "Schon in meiner Schulzeit in den 60er Jahren ging die Furcht vor einer Balkanisierung Indiens um. Das ist damals nicht geschehen und ich glaube, es wird auch in Zukunft nicht passieren."