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Wahlen im Schatten des Terrors

Thomas Bärthlein / (mas)16. September 2002

Wahlen in Kaschmir sind gefährlich. An vier Terminen vom 16.9. bis zum 10.10.2002 finden dort Regionalwahlen statt. Am ersten dieser vier Tage starben etwa 20 Menschen, noch mehr wurden verletzt.

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Trauer nach Terroranschlägen - in Kaschmir ist das nahezu alltäglichBild: AP

Sicherheitskräfte erschossen in der Nacht zum Montag 17 islamische Extremisten, die Wahlbüros angegriffen hatten, beziehungsweise von Pakistan nach Kaschmir eindringen wollten. Bei Anschlägen und weiteren Angriffen auf Wahllokale wurde außerdem ein Polizist getötet, sechs Menschen erlitten schwere Verletzungen.

Auch ein Aufgebot von zehntausenden von Polizisten, Soldaten und Paramilitärs konnte die nächtlichen Angriffe islamistischer Rebellen auf Wahlbüros, Wohnungen von Kandidaten und Posten von Sicherheitskräften nicht verhindern. In den Wahllokalen herrschten scharfe Sicherheitsvorkehrungen. Jeder Kandidat wurde bei der Stimmabgabe von rund einem Dutzend Leibwächter begleitet.

Keine Wahl

Von einer richtigen Wahl lässt sich kaum sprechen, da das größte politische Moslem-Bündnis, Hurriyat, die Wahlen boykottiert. Es protestiert damit gegen die Weigerung Indiens, die Bevölkerung in einem Referendum selbst über die Zukunft Kaschmirs entscheiden zu lassen. Die meisten Vertreter der Separatisten fürchten sich aber auch vor Anschlägen der Islamisten und nehmen deshalb nicht an der Wahl teil.

Islamistische Rebellen kämpfen seit 1989 gewaltsam für eine Loslösung von Indien. Mehr als 36.000 Menschen wurden seither getötet. Indiens Regierung wirft dem Nachbarland Pakistan vor, die Extremisten zu unterstützen.

Der gestiegene Einfluss des islamistischen Al-Qaeda-Netzwerks kompliziert die Situation zusätzlich. Der Soziologe Yunas Samad von der Universität in Bradford, England, ist ein Spezialist für islamistische Bewegungen in Südasien. Er glaubt, dass Al-Qaeda unter den kaschmirischen Separatisten mit Stützpunkten in Pakistan fest verwurzelt ist. Die Terror-Organisation baut seiner Meinung nach keine neuen Gruppen auf, sondern sie versucht, existierende Gruppen zumindest zum Teil von ihrem Programm zu überzeugen. Außerdem sei ein Großteil der kaschmirischen Gruppen von ihnen militärisch ausgebildet worden. Auch auf diese Weise haben sie einen gewissen Einfluss auf die Politik der Separatisten.

Einfluss von Al-Qaeda

Dass die militanten Gruppen wenn nicht auf Anordnung, so zumindest im Sinne von Al-Qaeda arbeiten, dafür sprechen schon ihre Angriffs-Ziele in den letzten Monaten, meint Samad. Während die Militanten in den vergangenen Jahren die mehreren Hunderttausend indischen Soldaten und Para-Militärs in Kaschmir ins Visier genommen hatten, trafen die spektakulärsten Attacken in diesem Jahr Zivilisten. Samad glaubt, dass dadurch gezielt Spannungen zwischen Indien und Pakistan geschürt werden sollten, um die gesamte Region zu destabilisieren. "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Taktik geändert hat", so Samad. "Die wollen eine gewisse Reaktion provozieren." Dies diene aber weder Kaschmir noch der pakistanischen Regierung. Die einzigen, die davon zu profitieren scheinen, seien die Gegner der USA, also Al-Qaeda.

Betroffen von dieser neuen Taktik sind besonders die politischen Gruppen der Separatisten im Kaschmir-Tal, die sich unter der Dach-Organisation Hurriyat Conference zusammen geschlossen haben. Sie finden sich immer mehr zwischen allen Stühlen: Indien hat radikalere Vertreter unter einem neuen Anti-Terror-Gesetz inhaftiert. Und für Al-Qaeda sind sie, wenn sie nicht mit den Terroristen gemeinsame Sache machen, einfach nur unliebsame Konkurrenz.

Verwirrung der Wähler

Unter diesen Umständen ist damit zu rechnen, dass die in Kaschmir regierende National Conference von Ministerpräsident Farooq Abdullah wiedergewählt wird - Spitzenkandidat ist diesmal Farooqs Sohn Omar. Farooq Abdullah hat sich mit der indischen Regierung verbündet, aber deren wichtigste Partei, die hindu-nationalistische BJP, ist gegen jede Form von Autonomie für Kaschmir, und hat Abdullah mit seinen Autonomie-Plänen auflaufen lassen. Besonders populär ist er daher in Kaschmir nicht.

Die Politikwissenschaftlerin Veena Ravikumar von der Universität Delhi blickt insgesamt mit großer Skepsis auf die Wahlen: "Es gibt eine ganze Reihe von Problemen", sagt sie, "die indische Armee ist an vielen Orten präsent, das hält viele Leute vom Wählen ab." Sie seien auch mit dem, was Farooq Abdullah erreicht hat, unzufrieden. Aber die Hurriyat Conference sei auch keine Alternative. "Deshalb sind viele einfach verwirrt", meint Frau Ravikumar. Keine gute Voraussetzung für eine demokratische Willensbildung.