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Politik

Die "ethnische Karte"

Gwendolin Hilse | Zipporah Nyambura
8. August 2017

Vielen Kenianern ist die Ethnie von Politikern wichtiger als das Wahlprogramm. Das muss sich ändern, finden Online-Aktivisten und kämpfen für ein stärkeres "Wir"-Gefühl.

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Kenia Nairobi  Präsidenten- und Parlamentswahl
Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Abdul Azim

#TribelessYouthKE oder #MyTribeNiKenya sind die Hashtags, die jetzt im Wahlkampf die sozialen Netzwerke bestimmen. Kenias Jugend hat genug von der ethnisch konnotierten Politik des Landes. Ihre Botschaft auf dem Kurznachrichtendienst Twitter lautet: "Wir sind alle Kenianer". Außerdem wollen sie eine Politik, die sich auf Inhalte und nicht auf Ethnien fokussiert. In dem ostafrikanischen Land wählen nämlich vor allem ältere Menschen häufig nicht nach politischer Überzeugung, sondern viel mehr nach ethnischer Zugehörigkeit - und die Politiker profitieren davon.

Aber Kenias junge Wähler, vor allem die besser ausgebildeten Großstädter, lehnen sich seit einigen Jahren vermehrt gegen diese Mentalität auf. "Ich glaube, dass wir jungen Leute wirklich etwas bewegen können, immerhin machen wir mit 64 Prozent den größten Teil der Wählerstimmen aus", sagt Wanjiku Kihika im DW-Gespräch. Sie ist Gründerin der #TribelessYouthKE-Kampagne. Mehr als dreieinhalb Millionen junge Menschen erreiche ihr Team damit in den sozialen Netzwerken, so Kihika. Die Bewegung stehe aber vor allem auch für die kulturelle und ethnische Vielfalt Kenias. "Wir gehen auch direkt in die Kommunen und sensibilisieren junge Menschen dafür, nicht nach Ethnien zu wählen, sondern ihre Stimme sinnvoll zu nutzen."

Politische Lager nach ethnischer Zugehörigkeit

Bisher bestimmten in Kenia vor allem die fünf größten Ethnien, wer aus den Wahlen als Sieger hervorgeht. Laut Kenias Statistikbüro sind das bei 48 Millionen Einwohnern: die Kikuyu (6,6 Millionen), die Luhya (5,3 Millionen), die Kalenjin (5 Millionen), die Luo (4 Millionen) und die Kamba (3,8 Millionen). Dieses Jahr gehen Uhuru Kenyatta, ein Kikuyu aus der Hauptstadt Nairobi, und Raila Odinga, ein Luo aus Westkenia, ins Rennen. Auch ihre politischen Allianzen basieren auf verbündeten ethnischen Gruppen: Die Jubilee Alliance von Präsident Kenyatta und seinem Vizepräsidenten William Ruto haben ihre Unterstützer vor allem bei den Kikuyu und Kalenjin. In der oppositionellen National Alliance dagegen haben sich Raila Odinga (Luo), Moses Wetangula (Luhya) und Kalonzo Musoyka (Kamba) zusammengeschlossen.

"Im Wahlkampf spielen die Politiker immer wieder die ethnische Karte aus", sagt der kenianische Analyst Brian Wanyama im DW-Gespräch. "Bei Kampagnen in ihren Heimatregionen betonen die Politiker immer wieder die ethnischen Zugehörigkeiten, und sichern so ihre Macht."

Immer wieder gibt es in Kenia ethnische Spannungen. Beobachter fürchten, dass es auch bei diesen Wahlen zu Ausschreitungen, wie zuletzt 2007, kommen könnte. Damals lag Oppositionsführer Raila Odinga laut vorläufigen Ergebnissen vor Amtsinhaber Mwai Kibaki. Die endgültigen Ergebnisse ließen jedoch drei Tage auf sich warten - viele befürchteten Kibaki könne die Wahl zu seinem Vorteil manipulieren. Nachdem er dann zum Sieger erklärt und innerhalb einer Stunde vereidigt wurde, eskalierte die Gewalt. Es kam zu Kämpfen zwischen den größten Volksgruppen der Kikuyu, Luo und Kalenjin. Dabei wurden vor allem Kikuyus attackiert, zu denen auch Kibaki gehört. Mehr als 1.000 Menschen kamen uns Leben, mehrere Tausend waren auf der Flucht.

Koloniales Erbe

Der Tribalismus in Kenia reicht bis in die Kolonialzeit. Schon die britische Kolonialverwaltung spielte die größten Volksgruppen - die Kikuyu und Luo - gegeneinander aus und trennte sie räumlich. Damit machten sie die Kolonie regierbar und verhinderten Volksaufstände. "In den traditionellen Gesellschaften von damals spielte die ethnische Zugehörigkeit aber nie eine große Rolle. Das fing erst mit dem Unabhängigkeitskampf an", so der Analyst Brian Wanyama. Auch die ersten Parteien wurden entsprechend der ethnischen Zugehörigkeit gegründet: Die Kikuyu und die Luo schlossen sich zur Kenya Africa National Union (KANU) zusammen. Übrig blieben die kleineren Volksgruppen: Unter Daniel arap Moi, einem Kalenjin vom Rift-Valley, gründeten sie die Kenya African Democratic Union (KADU).

"Das wirkliche Dilemma begann erst, als die Politiker anfingen, ihre ethnische Zugehörigkeit für ihren Wahlkampf zu nutzen und somit die Gesellschaft zu spalten", so Wanyama. Kenias erster Präsident Jomo Kenyatta, Vater des amtierenden Präsidenten Uhuru Kenyatta, wurde beschuldigt, seine Kikuyo-Gemeinde zu bevorzugen, während er die Luo systematisch benachteiligte. Auch die Amtszeit seines Nachfolgers Daniel arap Moi (1978 - 2002) war geprägt von ethnischen Feindseligkeiten. Moi wird vorgeworfen, ethnische Konflikte geschürt zu haben. 1992 kam es im Rift Valley zu Kämpfen zwischen Kukuyus und Kenjins. Mehr als 5.000 Menschen wurden getötet, schätzungsweise 75.000 flohen in andere Regionen.

Historische Bilder zum Mau Mau Aufstand in Kenia
Kenyas erster Präsident Jomo Kenyatta bevorzugte bei Regierungsposten vor allem seine eigene EthnieBild: AFP/Getty Images

Kampf gegen Tribalismus

Nach den jüngsten ethnischen Konflikten 2007 hat die Regierung Kommissionen gegründet, die die verschiedenen Volksgruppen versöhnen sollen. Die Experten kamen zu dem Ergebnis, dass ethnische Konflikte überwiegend auf eine ungerechte Landverteilung und regionale Ungleichheiten zurückzuführen sind. Als Ziel wurde damals formuliert, Chancengleichheit für alle Kenianer zu schaffen - unabhängig von ihrem ethnischen Hintergrund. "Tribalismus ist eine Krankheit, die unser Land daran hindert, sich zu entwickeln", sagt der Analyst Wanyama. "Kenianer sollten Jobs und politische Positionen aufgrund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten bekommen - und nicht wegen ihrer Ethnie."