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Wahlkampf im Turbogang

Kerstin Hilt18. Juli 2005

Die deutsche Politik steht vor ihrer kürzesten Wahlkampfperiode. Wer gewinnt und wer verliert, scheint dabei irgendwie längst festzustehen. Doch Experten sagen: Der Wahlkampf wird so spannend wie selten zuvor.

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Schröder und seine Herausforderin Merkel
Zum goldenen Hirschen
Hektik in Bernd Heusingers Werbeagentur "Zum goldenen Hirschen"Bild: Zum goldenen Hirschen

Vier Stunden Schlaf, mehr war nicht drin in der Nacht. Und in den Nächten davor auch nicht. Seit Bundeskanzler Schröder am Abend der Wahl in Nordrhein-Westfalen überraschend Neuwahlen ausrief, herrscht in Bernd Heusingers Werbeagentur "Zum Goldenen Hirschen" Ausnahmezustand: Wofür er beim letzten Mal über ein Jahr Zeit hatte - nämlich die Wahlkampagne der Grünen zu organisieren -, muss nun innerhalb weniger Wochen fertig sein. Zwar wird ein bisschen abgespeckt in diesem Jahr: Sechs statt zwölf Themenbroschüren und auch ein paar Windräder und Armbänder weniger, erklärt Heusinger. "Aber im Vergleich zu 2002 wird der Wahlkampf mindestens genauso stressig."

Inhalte statt Werbung

Ebenso stressig vielleicht, aber ansonsten ziemlich anders, prognostiziert der Dresdener Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach. "Gerade wegen der kürzeren Vorbereitungszeit wird die Wahlwerbung dieses Mal einen sehr viel geringeren Einfluss haben als sonst", meint der profilierte Wahlforscher. "In diesem Wahlkampf wird es um Inhalte gehen, und deswegen wird er spannender ausfallen als die Wahlkämpfe davor."

Arbeit und eine gerechte Reform der Sozialsysteme, darauf werde sich - wenig überraschend - die Auseinandersetzung zuspitzen. Doch obwohl die CDU ("Sozial ist, was Arbeit schafft") nichts unversucht werden lasse, um die SPD als Arbeitsplatzvernichter darzustellen, hieße das nicht automatisch, dass sie auch selbst auf diesem Feld punkten könne. "Langsam muss die CDU mal rauslassen, was sie eigentlich konkret will", so Donsbachs Einschätzung. Das neue Wahlprogramm bringe da zwar etwas mehr Klarheit; ausreichend sei das jedoch noch nicht.

Alptraumjob zu vergeben

Der ehemailge Kultursenator Peter Radunski
Er war immer für eine Überraschung gut: der altgediente CDU-Wahlkampfmanager Peter RadunskiBild: dpa

Der altgediente CDU-Wahlkampfmanager und ehemalige Berliner Wissenschaftssenator Peter Radunski sieht das selbstverständlich anders. "Bei der Wirtschaftskompetenz liegt die CDU bei den Wählern klar vorne, und das wird sich auch nicht ändern in den nächsten Wochen." Und mit gesenkter Stimme sagt er weiter: "Also ganz im Vertrauen - Wahlkampfmanager für die SPD wollte ich dieses Mal beim besten Willen nicht sein."

Lesen Sie im zweiten Teil, wer der CDU doch noch gefährlich werden könnte!

So ganz unrecht hat er da nicht. Denn wie will sich die SPD weiter als Regierungspartei empfehlen, wenn sie die Macht gerade freiwillig hergegeben hat? "Wir sind im Moment in der einzigartigen Lage", kommentiert Radunski, "dass die SPD einen Oppositionswahlkampf führt, und die CDU als eigentliche Opposition fast schon als Regierungspartei antritt." Konsequenterweise habe die SPD ihr Wahlprogramm denn auch nur - kämpferisch, aber schwammig - "Wahlmanifest" genannt. Nach Vorschlägen für eine weitere Regierungsarbeit höre sich das nun wahrlich nicht an, meint auch Wahlforscher Donsbach.

Die größte Gefahr: der Außenseiter

Oskar Lafontaine
Er könnte der CDU gefährlich werden: WASG-Spitzenkandidat Oskar LafontaineBild: dpa

Hat die CDU damit die Wahl praktisch schon gewonnen? Nicht ganz, denn für angestrengte Stirnfalten sorgt bei der CDU nun statt der SPD das neue Linksbündnis von PDS und der "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit", WASG - angeführt von den beiden Volkstribunen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Bizarr, aber realistisch: Das Linksbündnis könnte die CDU, käme es in den Bundestag, nicht nur die mögliche absolute Mehrheit kosten, sondern ihr auch tatsächlich Stimmen abjagen. "Die CDU kann traditionell am rechten Rand fischen", erläutert Wahlforscher Donsbach. "Und gerade diese Extrem-Wähler könnten diesmal zur linken WASG überlaufen, weil die einfach am lautesten gegen alles sind."

In der SPD zeigt man sich von der neuen linken Konkurrenz vergleichsweise unbeeindruckt. "In meinem Wahlkreis bin ich noch nicht auf einen einzigen WASG-Politiker gestoßen", erzählt Katja Mast, die im tiefsten Baden-Württemberg, im Pforzheim-Enz-Kreis, für die SPD als Direktkandidatin antritt. Herrscht denn dort an der Basis gar kein Katzenjammer nach Schröders Machtverzicht? "Ganz im Gegenteil", entgegnet die Jungpolitikerin. "Klar gab es eine gewisse Schrecksekunde. Aber mittlerweile denken die Leute: Jetzt erst recht."

Schwimmbad statt Kundgebung

Kaja Mast und Ralf Fuhrmann
Wahlkampf auf Volksfesten und in Schwimmbädern: SPD-Kandidatin Katja Mast unterwegs in ihrem WahlkreisBild: DW

Doch weil in Baden-Württemberg bis eine Woche vor den geplanten Wahlen am 18. September noch Ferien sind, wird es für Katja Mast einen eher untypischen Wahlkampf geben - keine Großveranstaltungen, sondern Kärrnerarbeit. "Wir werden in die Schwimmbäder gehen, zu Stadtfesten und Beachvolleyballturnieren, und wirklich einzeln mit den Leuten reden." Katja Mast kommt das entgegen, denn dieses Mal gehe es vor allem um eins: die richtigen Argumente. "Wenn man mal diskutiert mit den Leuten, dann merkt man schnell: Die wissen gar nicht, was mit der CDU eigentlich auf sie zukäme."

Aussenminister Joschka Fischer von den Grünen beginnt seinen Wahlkampf
Wahlkampfrisiko Obermacho? Auch dieses Mal verlassen sich die Grünen ganz auf ihren heimlichen "Großen Vorsitzenden"Bild: AP

Kampfeslust an allen Fronten also? Bei den großen Parteien vielleicht, bei den kleinen nicht unbedingt. Insbesondere die Grünen haben die Neuwahlen eigentlich nicht gewollt - ganz davon abgesehen, dass man sie nicht einmal gefragt hat. Und zu allem Unglück treten nun auch noch die CDU mit einer Frau und die FDP mit einem Schwulen an, während für die Grünen noch einmal Obermacho Joschka Fischer Prozente holen soll. "Das zeigt doch ganz eindeutig: Ohne die Grünen wäre auch die Opposition nicht dort, wo sie heute ist", verteidigt sich Werber Heusinger stellvertretend für seine Auftraggeber. Nur: Mitreißende Wahlkampfargumente sehen wahrscheinlich anders aus.