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Wahlkrimi statt Fußball

2. Juli 2010

Der Fußball macht Pause – da sorgt die Politik in Berlin kurz für Spannung: Die Wahl des Bundespräsidenten geht in die Verlängerung und hat am Ende doch einen erwarteten Sieger.

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Logo Fernschreiber mit Brandenburger Tor (Grafik: DW)
Bild: DW
Jens Thurau (Foto: DW)

Um Gottes Willen: Zwei Tage ohne Fußball, am Mittwoch und Donnerstag. Im ganzen Land leere Public-Viewing-Arenen und Kneipen – und gähnende Langeweile bei 35 Grad. Wie war das eigentlich früher, als das öffentliche Zugucken bei Weltmeisterschaften noch nicht erfunden war? Als es noch keine Vuvuzelas gab, keine Deutschland-Fahne an den Autos – und schon gar nicht diese merkwürdigen Überzüge für Auto-Außenspiegel in den Farben Schwarz-Rot-Gold?

Diskrete Freude

Ich erinnere mich an 1990, als Deutschland mitten im Einheitstaumel Weltmeister wurde. Damals gab es keine Großleinwände in den Städten, wir guckten das Spiel zuhause und so richtig auszuflippen traute sich nach dem Schlusspfiff keiner – nicht, dass die europäischen Verbündeten ihre Zusage zur Einheit noch mal überdenken, weil den Deutschen schon wieder alles gelingt und sie sich national gebärden. Das klassische Mittel, öffentlich nationale Freude zu zeigen, war damals der Autokorso – heute fast in Vergessenheit geraten.

Aber zurück ins Hier und jetzt: Die Politik in Berlin hat die zwei Fußballhysterie-freien Tage genutzt, mal schnell einen neuen Bundespräsidenten zu wählen. Wobei - schnell nun auch wieder nicht. Fast zehn Stunden dauerte der Wahlkrimi, bis der Kandidat der Kanzlerin, Christian Wulff aus Hannover, endlich deutsches Staatsoberhaupt war. Tags drauf waren die Zeitungen voll mit Schlagzeilen wie: "Die Wackel-Wahl" und "Blamage für die Kanzlerin".

Plötzlich beliebt

Aber die Regierung ist dann am Donnerstag - dem Tag nach der Wahl und dem zweiten fußballfreien Tag - nicht zerbrochen und beim versammelten Volk vor dem Reichstag in Berlin war ein merkwürdiges Phänomen zu beobachten: Solange die Bundesversammlung lief und die Uneinigkeit zwischen Union und FDP den Kandidaten der Kanzlerin in immer neue Wahlgänge zwang, da äußerten die Menschen offen ihre Sympathie für den Kandidaten von SPD und Grünen, den Bürgerrechtler Joachim Gauck. Der war in den Wochen zuvor von den Medien zum idealen Präsidenten hochgepuscht worden, ein Staatsoberhaupt der Herzen sozusagen.

Aber dann war Christan Wulff doch mit Ach und Krach gewählt – und schwupps: 72 Prozent der Deutschen halten Wulff für einen guten Präsidenten. Sieht ja auch ganz nett aus, der Neue. Vielleicht liegt es einfach daran, dass wir im politischen Berlin mal wieder gedacht haben, wir seien der Nabel der Welt mit unseren Geschichten, Prognosen, Wahlen. Die normalen Menschen waren währenddessen beim Public-Viewing und haben in der spielfreien Zeit einfach mal aufgeblickt und registriert: Es gibt einen neuen Bundespräsidenten, herzlich willkommen. Und jetzt schalten wir wieder um, die zweite Halbzeit beginnt…


Autor: Jens Thurau
Redaktion: Dеnnis Stutе