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Wahlreform in Windeseile

26. Juli 2012

Nachdem das Bundesverfassungsgericht das neue Wahlrecht gekippt hat, verfallen die Parlamentarier in Hektik. Was vorher Jahre dauerte, wollen sie nun im August auf den Weg bringen: die Reform des Bundestagswahlrechts.

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Einwohner des kleinen Ortes Haselbach der Gemeinde Oberland am Rennsteig (Kreis Sonneberg) wählen in Kabinen (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ziel sei es dabei, mit SPD und Grünen schnell zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Dem Willen der Regierung nach sollen alle Beteiligten bereits Ende August am Verhandlungstisch sitzen. "Schön wäre es, wenn wir in diesem Jahr parteiübergreifend zumindest einen Gesetzentwurf einbringen könnten, damit die nächste Bundestagswahl rechtlich auf sicheren Füßen steht", sagte Unionsfraktionsvize Günter Krings (CDU) der "Welt".

Die Bundesrepublik besitzt derzeit kein Wahlrecht. Das Bundesverfassungsgericht hatte das vor einigen Monaten reformierte Bundeswahlgesetz in zentralen Punkten für verfassungswidrig erklärt. Nun muss es rasch neu gestaltet werden, denn die kommende Bundestagswahl ist für den Herbst 2013 angesetzt. Damit habe das Gericht alle Fraktionen vor eine Aufgabe gestellt, die überaus kompliziert sei, sowohl zeitlich wie inhaltlich, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, der "Rheinischen Post".

Wie kompliziert das ist, zeigte sich bereits bei der jetzt abgelehnten Reform. In einem ähnlichen Verfahren hatte das höchste deutsche Gericht dem Gesetzgeber bereits 2008 aufgetragen, bis zum Juli 2011 eine neue Regelung zu verabschieden. Trotz großzügigen Zeitrahmens kam die Reform im Alleingang von Union und FDP mit fünf Monaten Verspätung Ende 2011 und wurde nun dennoch als verfassungswidrig abgelehnt.

Vorwurf an die Justiz

Die wichtigste Veränderung, die die Justiz fordert, betrifft die umstrittenen Überhangmandate, die zuletzt in erheblicher Zahl anfielen. Solche Parlamentssitze kommen zustande, wenn eine Partei mit Hilfe der Erststimmen mehr Direktmandate und damit Parlamentssitze erhält, als ihr durch das Zweitstimmen-Ergebnis insgesamt zustehen würden. Bei der Bundestagswahl 2009 gab es 24 Überhangmandate - alle gingen an die Union. Das Verfassungsgericht setzte nun eine "zulässige Höchstgrenze" von 15 Überhangmandaten fest.

Unionsfraktionsvize Krings warf den Verfassungsrichtern vor, sich nicht an eigene Maßstäbe zu halten. Die vorgegebene Grenze sei nicht begründet. "Die Zahl ist eine reine Setzung", sagte Krings. "Ich fände es schön, wenn das Gericht die Begründungsanforderungen, die es in den vergangenen Jahren ständig an den Gesetzgeber stellt, selbst genauso ernst nehmen würde."

Weitreichendere Folgen?

Wahlrechts-Experten befürchten, dass das Urteil auch Konsequenzen haben könnte für die Bundesländer. "Die Chancengleichheit der Parteien gilt auch in den Ländern", sagte der Staatsrechtler Sebastian Roßner von der Universität Düsseldorf der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Doch das hänge auch vom einzelnen Landeswahlrecht ab. "Wenn wir ein Land haben, in dem die Überhangmandate vollständig ausgeglichen werden, stellt sich das Problem nicht."

Bundeswahlrecht verfassungswidrig

Verständlich sei auch, so Roßner, dass nun eine grundlegende Reform des komplizierten deutschen Wahlrechts diskutiert werde. Doch die Aussichten dafür schätzt der Experte als schlecht ein. "Wahlrecht ist eine extrem sensible Materie." Deshalb werde dabei meistens "Evolution vor Revolution" vorgezogen. Das liege auch daran, dass die Macht-Chancen der Parteien zu einem Großteil eben vom Wahlrecht abhingen. "Da bleibt man lieber beim Bewährten", meint Roßner, selbst wenn viele das Verfahren nicht durchschauten.

nis/qu (dpa, dapd, afp)