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Wallfahrt und Widerstand

Anna Kuhn-Osius11. August 2008

Was hat die Mutter Gottes mit Terroristen zu tun? Am Niederrhein geht es um beides: 15.000 Tamilen kommen zur Wallfahrt nach Kevelaer, beten zur heiligen Maria. Und fordern den Freiheitskampf in ihrer Heimat Sri Lanka.

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Tamilin entzündet Kerze. Quelle: ako
Eine Tamilin betet für ihre Heimat Sri Lanka am Kerzenstock in KevelaerBild: DW/ Kuhn-Osius

Hauptbahnhof Krefeld, Samstagvormittag (09.08.2008): Wer mit dem Zug ins niederrheinische Kevelaer will, muss auf Gleis zwei. Der Bahnsteig gleicht einem indischen Basar: Tausende Menschen in bunten Gewändern, Frauen mit traditionellem Schmuck, kleine Jungen in schwarzen Anzügen, Babys in langen Tüllkleidern. Selbst coole Teenager kommen in traditionellen Gewändern - und tragen darüber ihre Jeansjacken. Lautstarke Diskussionen in fremder Sprache, Mütter packen tamilisches Essen aus, extra scharf. Für ein paar Stunden könnte Krefeld eine Provinzhauptstadt in Sri Lanka sein.

Tamilische Kinder. Quelle: ako
Die Kinder wurden für die Wallfahrt extra schick gemachtBild: DW/ Kuhn-Osius

Bahn-Chaos

Für etwa 3000 Tamilen endet ihre Wallfahrt vorläufig am Bahnhof. Der Regionalzug nach Kevelaer ist ausgefallen, der nächste kommt nach anderthalb Stunden, ist bereits bei der Einfahrt völlig überfüllt. Verzweifelt stürzen sich die Menschenmassen auf die Türen, ein Mann schlägt um sich. Der Zug ist überladen und verstopft, kann stundenlang nicht abfahren, blockiert das Gleis. Nichts geht mehr. Die Deutsche Bahn reagiert nur schleppend, setzt nach und nach Busse und Sonderzüge ein.

Überfüllter Zug. Quelle: ako
Die Bahn ist mit den vielen Pilgern überfordertBild: DW/ Kuhn-Osius

Die paar Einheimischen, die zusammen mit tausenden Tamilen mittags doch noch in Kevelaer ankommen, sind fix und fertig. "Katastrophal, wir haben bald übereinander gelegen", stöhnt eine Rheinländerin. "Die Bahn hat wohl ein bisschen geschummelt, drei Züge haben sie ausfallen lassen, obwohl sie wussten, dass die Tamilen kommen!" Taxis gibt es auch keine mehr. Als alte Kevelaernerin nimmt die Frau es gelassen und marschiert mitten im Pilgerstrom durch die Stadt: "Die Tamilen sind da! Da müssen wir wohl mal zu Fuß laufen, was?"

"Das sind doch Inder, oder?!"

Deutsche in einem Straßencafé. Quelle: ako
Die Deutschen schauen dem Pilgerstrom zuBild: DW/ Kuhn-Osius

90-jährige Omas in langen Saris schieben Kinderwagen, Großfamilien bahnen sich den Weg durch die Fußgängerzone des kleinen Ortes. Ein paar deutsche Besucher schauen zu, mit einer Mischung aus Skepsis und Neugier. "Wahnsinn, diese vielen Menschen", sagt eine Verkäuferin kopfschüttelnd. Katharina, eine Studentin aus Düsseldorf, ist extra mit den Tamilen mitgefahren: "Als ich am Hauptbahnhof die vielen Menschen in den tollen Gewändern sah, habe ich die gleich gefragt, wo sie hinfahren", erzählt sie. "Ich finde das spannend!" Trotzdem: So mancher Tourist hätte die Maria wohl lieber für sich alleine. "Mir liegt Maria am Herzen und Kevelaer auch", erklärt eine genervte Rentnerin aus Duisburg. "Aber da stiegen wir in den Zug ein und da waren jede Menge - Inder! Das sind doch Inder, oder?!"

Volksfest mit Maria

Deutsche Studentin mit Tamilinnen. Quelle: ako
Diese Studentin ist mit ihren tamilischen Freunden mitgekommenBild: DW/ Kuhn-Osius

Der Kirchenvorplatz in Kevelaer gleicht einem Volksfest. Großfamilien stehen zusammen, Kinder spielen mit Luftballons, ein Chor tritt auf, aus Lautsprechern dröhnt ohrenbetäubende tamilische Musik. Vor der Kapelle mit dem Marienbild hat sich eine lange Schlange gebildet, alle wollen einmal zu Maria beten. Die meisten der Tamilen sind gar nicht katholisch, sondern Hindus. Aber was macht das schon? "Auch wir verehren Mutter Maria als Heilige", erklärt eine Pilgerin. "Außerdem sehen wir den Religionsunterschied nicht so eng. Manche sind Katholiken, wir sind Hindus, ist doch egal. Wir sind alle Menschen!"

Alle packen mit an

Die Innenstadt in Kevelaer. Quelle: ako
Pilger auf ihrem Weg zur Kirche in KevelaerBild: DW/ Kuhn-Osius

Die Tamilen fahren seit Jahren nach Kevelaer, um Verwandte und Freunde zu treffen und gemeinsam zu beten. "Es hat mal ein Tamile zu uns gesagt, man fühle sich wie in einer indischen Tempelanlage, wenn man auf dem Kapellenplatz steht", sagt Rainer Killich, Generalsekretär vom Wallfahrtsort. Es klingt ein bisschen stolz. Die vielen Kerzen, die festlich gekleideten Pilger - für Killich ist das gelebte Ökumene. "Es mischt sich hier einfach das pralle kirchliche Leben, viele Nationen, viele Konfessionen, viele unterschiedliche Menschen, die etwas mit diesem Wallfahrtsort verbinden. Da packt ganz Kevelaer mit an, das geht an einem solchen Tag nicht anders."

Tamilin betet während der Messe. Quelle: ako
Andächtiges Gebet während der tamilischen MesseBild: DW/ Kuhn-Osius

Der Hobby-Funker-Verein regelt das Verkehrschaos. Am Opferstock pusten Ehrenamtliche die Kerzen wieder aus, sammeln sie ein. Schließlich soll jeder der 15.000 Pilger einen Platz für seine Kerze finden. Den Pilgern ist das sehr wichtig: "Ich weine einfach, die ganzen Sorgen, die in meinem Herz sind, gehen raus, und dann fühle ich mich total leichter", erklärt eine Frau in schillerndem Sari. Etwas weiter steht Samsan, 9 Jahre alt, aus Oberhausen. "Wir beten für Oma und Opa", erklärt er. "Weil die im Krieg leben!"

"Tamil Tigers gut!"

Familie entzündet Kerze. Quelle: ako
Viele Familien beten für ein unabhängiges Land der Tamilen in Sri LankaBild: DW/ Kuhn-Osius

Unpolitisch ist die Veranstaltung nicht. Die Tamilen fühlen sich in ihrem Heimatland Sri Lanka unterdrückt, seit mehr als 25 Jahren schon kämpfen sie im Bürgerkrieg für ihre Unabhängigkeit. Ein Drittel der tamilischen Bevölkerung Sri Lankas ist bereits ins Ausland geflohen, allein in Deutschland leben rund 60.000 Tamilen. In ihrer Heimat Sri Lanka organisiert die Untergrundorganisation Tamil Tigers den gewaltsamen Freiheitskampf. Sie führt die Statistik der weltweiten Selbstmordattentate an. Die USA und die EU betrachten die Tamil Tigers deshalb als Terrororganisation, ähnlich wie El-Kaida. Die Pilger können das nicht nachvollziehen. "Wer für unsere Freiheit kämpft, ist kein Terrorist", sagt ein junger Mann aus den Niederlanden wütend. Eine 15-Jährige mit Zahnspange hält beide Daumen hoch: "Die Tigers kämpfen für unser Land. Ich bin dabei! Ist doch normal, oder?" Ihre Mutter, die sonst kein Wort deutsch spricht, nickt eifrig: "Tigers gut!"

Spenden für den Terror

Geldbündel in mehreren Währungen. Quelle: ako
Spenden nehmen die Tamilen in allen Währungen.Bild: DW/ Kuhn-Osius

Die Tamil Tigers sind weltweit sehr gut organisiert: Sie haben eine eigene Luftwaffe und Seeflotte in Sri Lanka, regieren in den von ihnen besetzen Gebieten mit eigener Polizei und Verwaltung. Das Geld für Waffen und Personal kommt aus der ganzen Welt: Die Tigers finanzieren sich mit weltweiten Spenden der ausgewanderten Tamilen, nach Schätzungen rund 60 Millionen Dollar pro Jahr. Wie viel davon mafiaähnlich erzwungene "Spenden" sind, ist unklar. Bei der Wallfahrt gibt eine Studentin aus dem Rheinland offen zu: Auch ihre Familie spendet regelmäßig für die Tamil Tigers. "Meine Mutter macht das immer monatlich. Wir haben das so geregelt: sie überweist das Geld auf ein Konto, und dann geben die Tigers auch einen Prospekt raus, was sie damit machen."

Politische Veranstaltung?

Frauen in bunten Saris beten vor Marienaltar. Quelle: ako
Gebet vor dem MarienaltarBild: DW/ Kuhn-Osius

Auch in Kevelaer klappern Spendenbüchsen, angeblich für behinderte Kinder, beschriftet sind die Büchsen auf Tamil. Wird der Wallfahrtsort einmal im Jahr zum Forum für eine Terrororganisation? "Nein", sagt der Generalsekretär der Wallfahrt, Rainer Killich. Er habe hier noch nie ein Flugblatt von den Tamil Tigers gesehen. "Was natürlich so im Laufe des Tages auf Tamil gesprochen wird, können wir nicht nachvollziehen", räumt er ein. "Aber wir versuchen, diesen Wallfahrtstag nicht zu einer politischen Veranstaltung mutieren zu lassen."

Maria ist "cool", die Tigers auch

Tamilischer Teenager mit cooler Sonnenbrille. Quelle: ako
Marien-Anbetung ist "cool"Bild: DW/ Kuhn-Osius

Gerade die jungen deutschen Tamilen wollen vom Krieg eigentlich gar nichts mehr wissen: "Viele von meiner Familie sind im Krieg draufgegangen", erzählt ein junger Pilger, der als Kind nach Deutschland kam. "Als ich sechs war, habe ich den ganzen Krieg in Sri Lanka mitgekriegt, die Bomben, die Toten, das habe ich alles gesehen. Krieg ist für mich keine Lösung."

Und so mancher tamilische Teenager findet zwar die Tamil Tigers "cool" und die heilige Maria auch, kümmert sich aber in Kevelaer lieber um weltliche Dinge: "Wir beten und dann gehen wir einkaufen!"