1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Warten auf Barroso

Bernd Riegert4. August 2004

Wer wird Mitglied der neuen "Regierung" Europas? Nicht nur die Medienöffentlichkeit will das wissen. Auch die Kandidaten für den Posten eines EU-Kommissars hoffen auf baldige Entscheidungen.

https://p.dw.com/p/5OsZ

"Ach, hätte ich doch nur mehr zu tun!", stöhnt ein ungenannt bleibend wollender EU-Kommissar aus einem Neuland in seinem unglaublich penibel aufgeräumten Büro, als ich ihn besuche. Die sommerliche Hitze hat sich über Brüssel gelegt, während der neue Chef der EU-Kommission, Jose Barroso, darüber brütet, wer was tun soll in dem demnächst 25-köpfigen Führungsgremium Europas.

Nervös nestelt der EU-Kommissar, der früher selbst Regierungsmitglied war, an seinem Bleistift: "Wissen Sie, diese Warterei geht mir auf die Nerven. Ich bin gewohnt zu handeln."

Bislang hatte mein Gastgeber kein eigenes Ressorts, sondern lief als so genannter Zwilling neben einem echten Kommissar aus einem alten Mitgliedsland mit. Jetzt wird er ein eigenes Ressort bekommen, doch welches? Darüber hat ihn Jose Barroso bislang im Unklaren gelassen. Er wisse ja, wie Regierungsbildungen laufen. Der erlösende Anruf sei noch nicht gekommen. Jeden Morgen lese er in den Zeitungen die wilden Spekulationen, welcher Kommissar welches Ressort bekommen soll, wer super oder zweitrangig sein wird.

Ende der Woche fährt der Kommissar in Wartestellung wie geplant in Urlaub. "Ich werde nicht die ganze Zeit neben dem Telefon warten", grinst er. Seine Wünsche und die seines Landes habe er Barroso mitgeteilt. Irgendwas mit Wirtschaft oder Währung wäre schön, schließlich sei er ja von Hause aus Ökonom.

Bis spätestens 23. August will der portugiesische Präsident der Kommission bekannt geben, wie die Aufgabenverteilung aussehen soll. Das wird die Quadratur des Kreises, denn schließlich haben alle großen Mitgliedsstaaten Anspruch auf ein möglichst potentes Wirtschaftsressort erhoben. Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte seinen Sendboten in Brüssel, Günter Verheugen, gar zum Superkommissar erheben. "Das kann sich Barroso gar nicht leisten", so mein Gesprächspartner. Würde er dem Wunsch nämlich nachgeben, würde ihm ewig anhängen, er sei schon zu Beginn seiner Amtszeit vor einer nationalen Regierung eingeknickt.

Die kleinen und neuen Mitgliedsstaaten wollen sich nicht mit Almosen abspeisen lassen. So kann man davon ausgehen, dass die Polin Danuta Hübner das Handelsressort und vielleicht sogar einen Vizepräsidentenposten gekommt. Soweit es geht halten einige Kandidaten aus den neuen Ländern untereinander Kontakt, um sich abzusprechen, wie sie bei den Verhandlungen vorgehen sollen.

Ansonsten ist es aber gespenstisch ruhig in Brüssel. "Ich sitze hier und langweile mich", klagt mein Gesprächsparnter und trommelt nervös auf den Mahaghoni-Konferenztisch in seinem 15 Meter langen und fünf Meter breiten Büro mit Blick ins Grüne. Energiegeladen packt er jetzt seine Urlaubskoffer und hofft darauf, dass sich die Leere spätenstens im November füllen wird, wenn die neue Amtszeit beginnt.

Es ist eben nicht einfach, aus jetzt 19 Ressorts 24 zu stricken, wo eigentlich nur 12 nötig wären, wie Kommissions-Insider in Brüssel vorrechnen. Die Behörde wird aufgebläht, damit alle Mitgliedsstaaten einen Vertreter an die Spitze schicken können, die doch eigentlich supranational und unabhängig handeln soll. "Na, ja," lächelt mein Gegenüber, "das ist die Theorie, aber viele Kollegen werden von den Regierungen zuhause 'geführt'."

Die Sekretärin stellt ein Telefongespräch durch. Natürlich nicht Herr Barroso am anderen Ende. Also, heißt es im absurden Brüssler Theater weiter warten auf Godot.