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Warten auf den "Massenansturm"

8. April 2011

Auch Deutschland wird einen Teil der nordafrikanischen Flüchtlinge aufnehmen, die derzeit in Südeuropa ankommen. Die zuständige Bundesbehörde sieht sich gut vorbereitet - obwohl sie schon jetzt überlastet ist.

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Flüchtlinge vor der Mittelmeerinsel Lampedusa (Foto: AP)
Flüchtlinge vor der Mittelmeerinsel LampedusaBild: picture alliance/dpa

Fieberhaft verfolgt Ahmad Syed (Name geändert) dieser Tage die Nachrichten aus dem arabischen Raum; besonders, seit die Proteste auch sein Heimatland Syrien erfasst haben. Von dort war er 1984 nach Deutschland geflohen, nachdem man ihn, einen Gegner der regierenden Baath-Partei, zweimal ohne Angabe von Gründen inhaftiert hatte. Heute hätten es autokratische Regierungen nicht mehr so leicht wie damals, glaubt er: "Jetzt kann man nicht alles verbergen. Jetzt gibt es das Internet, jetzt gibt es das Fernsehen."

Streit um die Zuständigkeit

Plakat des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in Damaskus (Foto: dapd)
Plakat des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in DamaskusBild: dapd

Der politische Umbruch führt auch dazu, dass sich viele Araber auf den Weg nach Europa machen, um - wie der junge Syed vor 27 Jahren - Asyl zu beantragen. Die EU-Kommission drängt die Mitgliedsländer, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen, die derzeit vor allem in Südeuropa stranden. Nachdem die Bundesregierung dies lange abgelehnt hatte, bot sie am Freitag (08.04.2011) an, 100 in Malta gelandete Menschen nach Deutschland zu holen. Ob es dabei bleiben kann, muss sich noch zeigen: Am Montag diskutieren die EU-Innenminister über das Thema.

Während die Mitgliedstaaten streiten, bereiten sich die zuständigen Stellen in Deutschland bereits darauf vor, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen. "Sollten die europäischen Innenminister entscheiden, dass Flüchtlingskontingente auch in Deutschland aufgenommen werden, stehen sowohl der Bund - also unser Bundesamt - als auch die Länder für diese humanitäre Aktion bereit", sagt Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. "Wir wären bei einem Massenansturm die nationale Kontaktstelle und würden das koordinieren." (siehe Interview unten)

Steigende Flüchtlingszahlen

Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Foto: dpa)
Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und FlüchtlingeBild: picture-alliance/dpa

Dabei ist seine Behörde eigentlich schon jetzt überlastet: Im vergangenen Jahr waren die Asylanträge um 50 Prozent auf 41.000 gestiegen - und sie steigen weiter. Das Bundesamt ist jedoch nur auf eine halb so große Anzahl von Fällen ausgelegt - doch so wenige gab es bislang nur im Jahr 2007. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sieht in der geringen Kapazität einen Skandal. "Das ist eine falsche Planung", erklärt der Europa-Referent Karl Kopp. "Das wird zwangsläufig die Verfahren in die Länge ziehen oder, was noch schlimmer wäre, vielleicht auch ein bisschen schludriger machen."

Im Bundesamt verweist man dagegen darauf, dass man durch Personalverschiebungen derartige Spitzenbelastungen auffangen könne. Dies sei auch im vergangenen Jahr gelungen, sagt der Präsident Manfred Schmidt. Fast zwei Drittel der Fälle konnten in weniger als sechs Monaten entschieden werden - trotz der Antragsflut. Auch die Unterbringung der zusätzlichen Menschen lasse sich arrangieren, glaubt Schmidt: "Wir arbeiten ja eng mit den Ländern zusammen und sehen, dass die Kapazitäten im Moment durchaus ausreichen, die Asylbewerber aufzufangen."

"Nur wenige komplizierte Fälle"

Schmidt verweist allerdings darauf, dass die Situation seine Behörde auszehrt - denn für die Bearbeitung der zusätzlichen Fälle müssen Mitarbeiter aus dem Bereich Integration abgezogen werden. "Sollten wir über die nächsten Jahre auf diesem hohen Niveau bleiben, dann ist die Personalausstattung hier im Bundesamt noch einmal zu überprüfen", sagt der Bundesamtschef.

Einem knappen Fünftel der Antragsteller wurde im vergangenen Jahr Schutz gewährt. In einigen Fällen sei die Entscheidung unkompliziert, erklärt der Bundesamtschef. So können Antragsteller aus den Balkanländern Serbien und Mazedonien kaum auf Asyl hoffen. Bei Herkunftsländern wie Afghanistan oder dem Irak seien die Verfahren meist wesentlich langwieriger. "Würden solche Fälle in dieser Größenordnung kommen, würden wir mit Sicherheit über der Grenze des Limits arbeiten." Allerdings erwarte er nur wenige komplizierte Fälle: "Soweit wir den Verlautbarungen des UNHCR entnehmen können, handelt es sich bei den allermeisten Flüchtlingen, die derzeit auf Lampedusa eintreffen, um Menschen, die ihre wirtschaftliche Situation verbessern wollen."

In der Zwischenwelt

Im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen werden seit Januar Asylbewerber untergebracht(Foto: dpa)
Im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen werden seit Januar Asylbewerber untergebrachtBild: picture alliance/dpa

Wer eine Ablehnung erhält, wird nicht immer sofort abgeschoben: Viele landen auch in einer Art Zwischenwelt, die Duldung genannt wird, manchmal jahrelang. Ahmad Syed ist so jemand. Nach seiner Ankunft in Deutschland 1984 dauerte es zwölf Jahre, bis sein Asylantrag endgültig abgelehnt wurde. Doch der höfliche Wirtschafts-Dozent kann aus humanitären Gründen bis heute nicht abgeschoben werden. Weil er zwischendurch zwei Jahre in die Niederlande ging, wurde seine Lage noch komplizierter. Er erhielt jahrelang immer nur kurzfristige Aufenthaltsduldungen und durfte deshalb weder arbeiten noch seinen Wohnort Bonn verlassen. Im vergangenen November erhielt er schließlich eine Arbeitserlaubnis - mit 59 Jahren.

So sitzt Ahmad Syed nun in seiner winzigen Erdgeschosswohnung, raucht Kette und blickt zurück auf ein verlorenes Vierteljahrhundert. "Mein Herz weint. Bis jetzt habe ich keine Chance", sagt er. "Ich bin wie in einem Gefängnis. Das macht mich schwer." Umso intensiver verfolgt er die Nachrichten aus seinem Heimatland Syrien und dem arabischen Raum. Wenn die Proteste tatsächlich zu nachhaltigen Veränderungen führten, werde es ihn nicht in Deutschland halten, sagt Syed. Das sei doch selbstverständlich: "Wenn es Demokratie gibt, gehen Sie zurück in Ihre Heimat."

Autor: Dennis Stute

Redaktion: Dirk Eckert