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Warum Menschen zu Gott beten

Rudolf Grimm, dpa26. November 2003

"Oh Gott, hilf mir!" - das mag oft nur ein unüberlegter Stoßseufzer sein. Es kann sich aber auch um ein aufrichtiges Gebet handeln. Sind solche Bitten Ausdruck von Gottvertrauen oder eher Wunsch- oder gar Aberglaube?

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Gebete können Halt gebenBild: AP

"Elementare religiöse Erfahrungen wie das Beten bringen mehr Fragen mit sich als Antworten möglich sind", sagt der katholische Theologe Jürgen Werbick von der Universität Münster, den die christliche Zeitschrift "Zeitzeichen" für den Themenschwerpunkt Beten interviewt hat.

In einem anderen Beitrag nimmt der evangelische Theologe Prof. Fulbert Steffensky Stellung zur Äußerung eines amerikanischen Autors: "Was immer Beten tun mag, 'wirken' tut es nicht." Zu dem möglichen Einwand, es habe doch durch die ganze Religionsgeschichte hindurch immer wieder bezeugte Gebetserhörungen gegeben, bemerkt Steffensky: Wenn es solche Erhörungen gebe, dann stelle sich die Frage um so dringlicher, warum Gott im Normalfall nicht erhöre – "warum er die Züge in die Gaskammern nicht aufgehalten hat und warum er den Mördern das Handwerk nicht gelegt hat?" Für Steffensky ist richtiges Beten dennoch sinnvoll.

Prayer
Muslime beim GebetBild: AP

17 Prozent glauben an Gebete

Nach einer Umfrage des Emnid-Instituts im Auftrag des Magazins "Chrismon" sind 26 Prozent der Deutschen der Meinung, dass Beten nichts bewirkt. Nur 17 Prozent glauben fest an seine objektive Wirkkraft.

Der Auschwitz-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel hat angesichts des Holocaust gesagt, die Fähigkeit zu beten sei damals im Menschen getötet worden. Bei dem Dichter Gottfried Benn (1886-1956) heißt es: "Vor wem sollen wir noch knien? Der Alte hat uns im Stich gelassen, die Lage ist bitter."

Kann man den Willen Gottes lenken?

Theologen betrachten die Problematik, wie Theologe Werbick argumentiert, aus zwei verschiedenen Perspektiven: "Für die einen kann Gottes Wille durch das Gebet beeinflusst und verändert werden. Die anderen vertreten die Auffassung, dass das Gebet nicht Gottes Willen verändert, sondern den Beter, so dass er aufmerksam dafür wird, Gottes Willen wahr- und anzunehmen."

Viele Menschen empfinden jedenfalls Beten auch dann als wichtig, wenn sie kein Anliegen vor Gott bringen wollen. Einer der angesehensten religiösen Denker des 20. Jahrhunderts, der Jesuit Karl Rahner (1904-1984), gab zu bedenken: "Glücklich ist schon der, der im Alltag von Zeit zu Zeit immer wieder betet! Es wird gewiss wenigstens selbst nicht ganz alltäglich." Rahner sah im Beten einen "Grundakt der menschlichen Existenz", der diese Existenz auf das Geheimnis hin in Bewegung bringe, das Gott genannt wird.

Trauer in Israel
Israelin liest PsalmeBild: AP

Tyrannen haben vor Gebeten Angst

Er wollte aber auch das Bittgebet nicht herabgesetzt wissen – so das Gebet für das tägliche Brot, die Erlösung vom Übel, die Verwirklichung des Reiches Gottes. Er nannte das "handfeste, deutliche" Bittgebet "eine Macht in der Welt und ihrer Geschichte". Es sei wirksam, wenn an die Macht des Angebeteten geglaubt wird. Ein immer wieder aktuelles Beispiel des Jesuiten: Warum wohl versuchen Tyrannen Gebete, die um Befreiung von der Tyrannei bitten, zu verhindern?

Mann am Ganges
Gebet in IndienBild: AP

Dass Beten sinnvoll sein kann, zeigt zumindest religiös empfindenden Menschen auch das Bußgebet: das Bekenntnis eigenen Fehlverhaltens und die Bitte um Vergebung. Auch Dankgebete für Empfangenes sind aus dieser Sicht sinnvoll. Jedenfalls ergab die Emnid-Umfrage im Auftrag von "Chrismon", dass fast jeder vierte Deutsche regelmäßig betet, etwa vor Mahlzeiten oder vorm Einschlafen.

Gebet als Grundfunktion

Manche Philosophen sehen im Gebet ein rein menschliches Phänomen. Der Franzose Auguste Comte (1798-1857) entwarf im 19. Jahrhundert ein System vernünftiger Religion ohne Gott. Das Gebet galt ihm als eine Grundfunktion der menschlichen Natur. Er verordnete seinen Anhängern täglich zwei Stunden Gebet.

Solches Beten hat manches gemeinsam mit der vor allem von Buddhisten praktizierten Meditation. Der Dalai Lama sagte dazu einmal: "Es geht um nichts anderes, als um Liebe und Mitgefühl im eigenen Herzen wachsen zu lassen und die innere Unruhe, von der wir geplagt werden, zu überwinden." Und: Meditation sei "wie ein Wiederaufladen unserer Batterie."