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Popsprache Deutsch

1. Oktober 2009

Mit Deutsch als Popsprache hat man sich lange Zeit schwer getan. Seit einigen Jahren singen jedoch immer mehr Künstler wieder in ihrer Muttersprache. Deutsch feiert ein Pop-Comeback.

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Sportfreunde Stiller (Quelle: DW/MTV)
Die Sportfreunde Stiller: Mit deutschen Texten wächst ihr Publikum seit über 10 Jahren stetig

"Ich selbst bin auch auf den Trichter gekommen. Meine Idole machen nichts anderes. Pearl Jam oder Nirvana singen auch in ihrer Muttersprache", sagt Johannes Strate, Sänger der Band Revolverheld. Noch in den späten 90ern versuchte man ihm das Deutsche auszureden. Im Radio würde das nicht funktionieren. Heute weiß er es zum Glück besser: Revolverheld feiert mit deutschen Texten Charterfolge und das, obwohl das Stakkato aus Konsonanten doch eigentlich ziemlich unmelodisch klingt.

Die Band Revolverheld (Quelle: picture-alliance)
Revolverheld feiert mit deutschen Texten reihenweise CharterfolgeBild: picture-alliance/dpa

Wie ein Fremdkörper müssen die Zeilen auf den Beat gequetscht werden. Kaum ein Wort lässt sich über mehrere Takte ziehen und nuscheln kann man Deutsch irgendwie auch nicht. Sprachen mit vielen Vokalen lassen sich leichter vertonen. "Das ist doch eigentlich ganz charmant," kontert Revolverheld Sänger Johannes. Deutsch hat Ecken und Kanten. Für ihn ist es eine Herausforderung das störrische Vokabular zu zähmen.

Aus Sprache wird Geld

Deutsch – die Sprache der Dichter und Denker, der Wissenschaft und jetzt auch der Musik? Keine Frage: Um sich differenziert auszudrücken kann der Texter von einem Buffet aus knapp 500.000 deutschen Wörtern löffeln. Fachsprachen nicht mit eingerechnet. Zum Vergleich bietet das Französische nur 300.000 Wörter. Und irgendwie ist das passiert, was vor zwanzig Jahren noch kein Musikmanager für möglich gehalten hätte: Gut ein Viertel der Rock- und Popmusik in den Album- und Singlecharts ist deutschsprachig. Das ist so viel wie noch nie. Die deutsche Sprache erlebt seit einigen Jahren ihre zweite Renaissance nach der Neuen Deutschen Welle in den 80ern. Mit Deutsch kann man Leute wieder zum tanzen und mitsingen animieren. Und noch viel wichtiger: Geld verdienen.

Sprache ist Identität

CD Cover Wir sind Helden Die Reklamation (Quelle: DW)
Wir sind Helden: Mit ihnen begann der Deutschpop-Boom

Das war nicht immer so leicht."Nach dem zweiten Weltkrieg war Deutsch schlicht eine Tätersprache," gibt Musikprofessor Julio Mendivil zu bedenken. Bands wie The Lords wichen auf Englisch aus, weil sie ihre Muttersprache mit dem Nationalsozialismus in Verbindung brachten. Heute sieht das anders aus. "Lindenberg, Nena oder Kraftwerk waren großartige Wegbereiter, die Deutsch wieder Salonfähig gemacht haben," so Professor Udo Dahmen von der Mannheimer Popakademie. Bis zum endgültigen Durchbruch der Muttersprache sollte es aber noch eine Weile dauern. Heute haben Musiker wieder mehr zu sagen. Bands wie Juli, Silbermond und Wir sind Helden wollen nichts anbrennen lassen. Sie sprechen den Markt in ihrer Muttersprache an und wirken dadurch glaubwürdiger. "Das ist wie im HipHop. Da bin ich uncool, wenn ich nicht zeige wo ich her komme," meint Musikprofessor René Michaelsen von der Uni Köln.

Mitsingen und mitdenken

Sowieso ist Ehrlichkeit wieder im Trend. Künstler wie Philipp Poisel oder Clueso machen Musik zum mitdenken. Sie sind ganz anders als die Shooting Stars der internationalen Hochglanz-Musikszene. Sie wollen vor allem, dass man ihnen zuhört. Das geht – logisch – am besten in der Muttersprache des Publikums. Um nicht lächerlich zu wirken müssen Künstler vor allem Poesie mitbringen: Denn die eigene Sprache langweilt uns besonders schnell. Das Fremdländische – also Englisch, Französisch oder Spanisch – übt auch mit vergleichsweise banalen Textaussagen immer noch einen großen Reiz auf uns aus. Einfach nur, weil es nicht unser alltäglicher Kommunikationsmodus ist.

Aus Trend wird Normalität

Philipp Poisel an der Gitarre (Quelle: picture-alliance)
Philipp Poisel: Deutschpoet, Straßenmusiker, PopstarBild: picture-alliance/ dpa

Heute ist Deutsch auch in Genres vorgedrungen, die traditionellerweise anderen Sprachen vorbehaltenen waren. Roger Cicero swingt und Annett Louisian trällert Chansons in ihrer Muttersprache. Auch international sieht es wieder sehr rosig aus. Seit Nena haben wenige deutsche Künstler die Amerikaner begeistert. Heute rennen Horden von Teenies den Goethe Instituten die Türen ein. Alle wollen die Texte von Tokio Hotel verstehen und mit singen können. Xavier Naidoo füllt Fußballstadien in Israel. Ein Deutscher mit deutscher Musik im heiligen Land. Das war vor kurzem noch undenkbar.

Autor: Tim Wessling

Redaktion: Matthias Klaus