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Warum steigen die Lebensmittelpreise?

27. Januar 2011

Seit Monaten steigen die Preise für Lebensmittel. Sind Finanzspekulanten dafür verantwortlich? Darüber hat DW-WORLD.DE mit dem Agrarökonomen Joachim von Braun vom Deutschen Zentrum für Entwicklungsforschung gesprochen.

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Lebensmittel werden teurer - weltweit.Bild: dpa

DW-WORLD.DE: Herr von Braun, treiben Spekulanten die Preise für Lebensmittel wie Soja oder Reis in die Höhe?

Joachim von Braun: Ja, aber nur dann, wenn die Knappheit schon signalisiert ist, weil zu wenig produziert wird, oder weil der Handel gestört ist. Oder weil der Konsum drastisch ansteigt.

Setzen die Spekulanten auf die Verknappung in der Hoffnung, dass die Preise steigen?

Die Rolle der Spekulation muss differenziert angegangen werden. Exzessive Spekulation verstärkt sich nur dann, wenn die Nahrungsmittel knapp sind. In einer normalen Situation, wenn die Lager gut gefüllt sind und der Handel funktioniert, gibt es keinen Anreiz zur Spekulation, die Spekulation folgt also der Verknappung.

Warum sind Lebensmittel derzeit knapp? Liegt es an Ursachen wie Dürren oder Überschwemmungen? Oder werden sie künstlich knapp gehalten, also dem Markt nicht zur Verfügung gestellt?

Die Inflationsrate für Lebensmittel steigt derzeit weltweit. In England liegt sie bei sechs Prozent, in China ungefähr bei 12, in Indien bei 16 Prozent. Das hat etwas mit der Makroökonomie zu tun, denn das viele Kapital, das im Umlauf ist, sucht Anlage und neigt also zur Spekulation. Zum anderen gibt es reale Gründe, also Störungen wie das Wetter.

Der französische Staatspräsident Nicholas Sarkozy will die Regulierung der Rohstoffmärkte zu einem zentralen Thema machen, wenn Frankreich den Vorsitz bei den G20 innehat, dem Zusammenschluss der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Stimmen Sie dieser Forderung zu?

Ich finde es vernünftig, dass sich die G-20 der gesamten Weltagrar- und ernährungsthematik annehmen. Und dass, angestoßen durch Südkorea im vergangenen Jahr und jetzt durch die G20-Führerschaft durch Frankreich, die Spekulationsthematik auf die Tagesordnung kommt, finde ich auch gut. Wir dürfen nur nicht überregulieren, wir brauchen die richtigen Instrumente und müssen ansonsten den Markt walten lassen.

Was genau müsste Ihrer Meinung nach reguliert werden?

Regulierung bedeutet nicht, den Handel zu beschränken. Im Gegenteil, wir müssen den Handel offen lassen. Regulierung würde stattdessen heißen, das Spekulieren teurer zu machen. Wer an der Börse viele Verträge schnell handelt, für den müssen die Vertragskosten steigen. Wir handeln ja an den Warenterminmärkten viel mehr Lebensmittel als wirklich vorhanden sind, deshalb muss das Spekulieren verteuert werden.

Die Finanzmärkte sind ein Grund, warum die Lebensmittelpreise gestiegen sind. Ein anderer ist, dass gerade in den armen Ländern die Agrarerträge gering sind und diese Länder Lebensmittel aus der EU, aus China oder Brasilien importieren. Hat man während der vergangenen Jahre verschlafen, die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern wirklich zu fördern?

Die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern braucht zweierlei Investitionen, um richtig gefördert zu werden. Das eine sind Infrastruktur, Wasserbau, Forschung, die insbesondere den Kleinbauern neues, gutes Saatgut zur Verfügung stellt. Vieles davon sind öffentliche Ausgaben und diese Investitionen sind leider in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden. Zweitens braucht die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern private Investitionen: Die Bauern müssen Zugang zu Kapital und Banken haben, da ist bereits einiges besser geworden. Ausländische Investoren haben lange überhaupt kein Interesse an Landwirtschaft gehabt und sind nun auf einmal sehr aktiv geworden und fangen an zu investieren. Leider läuft dabei einiges schief. Wir brauchen deshalb die richtige Investitionsstrategie, die den Bauern dient.

Erwarten Sie dieses Jahr ähnliche Hungerunruhen wie im Jahr 2008?

Wir haben im Jahr 2008 ungefähr 60 Fälle in 40 Ländern gezählt. Die Unruhen in diesem Jahr sind schwer vorauszusagen, dazu will ich mich nicht versteigen. Aber sie haben ja schon angefangen. Die Menschen sind ungeduldiger geworden. Diesen Preisunruhen können wir aber auch Positives abgewinnen, sie brechen nämlich vor allem in Regimen aus, die undemokratisch sind und nicht auf einem stabilen Rechtsstaat fußen. Unsere Statistik zeigt eindeutig, dass in Ländern, in denen gut regiert wird, die Unruhen sehr viel seltener sind und sehr viel ziviler ablaufen. Es mag tragisch sein, dass es wegen Lebensmittelpreissteigerungen zu politischen Veränderungen kommt - aber zum Teil brauchen wir halt auch diese politischen Veränderungen.

Joachim von Braun ist Agrarökonom am Deutschen Zentrum für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn.

Die Fragen stellte Silke Ballweg.

Redaktion: Thomas Latschan