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Zwei Straßburger Urteile

23. September 2010

Verlieren kirchliche Mitarbeiter bei außerehelichen Beziehungen ihren Arbeitsplatz? In zwei Fällen hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu entscheiden - und fällte zwei unterschiedliche Urteile.

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Blick in den Gerichtssal des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) (Foto: DW/Daphne Grathwohl)
Europäischer Gerichtshof für MenschenrechteBild: DW

Die Straßburger Richter gaben am Donnerstag (23.09.2010) der Klage eines Chorleiters aus Essen statt, dessen Arbeitsverhältnis von seiner katholischen Kirchengemeinde wegen außerehelicher Beziehungen gekündigt worden war. Dagegen wurde die Klage eines leitenden Mitarbeiters der deutschen Mormonenkirche gegen seine Kündigung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abgewiesen. Die beiden 53 und 51 Jahre alten Männer waren vor ihrem Gang nach Straßburg mit Klagen gegen ihre Kündigung ohne vorherige Abmahnung vor deutschen Arbeitsgerichten gescheitert.

Zwei Einzelentscheidungen

Im Dom in Essen (Foto: dpa)
Im Dom in EssenBild: picture-alliance/dpa

Der Chorleiter und Organist war seit Mitte der 1980er-Jahre bei der Essener Pfarrgemeinde St. Lambertus angestellt. 1994 hatte er sich von seiner Frau getrennt und lebte seitdem mit seinen zwei Kindern und seiner neuen Gefährtin, die gleichzeitig seine Anwältin war. Als bekannt wurde, dass die Gefährtin ein Kind erwartete, reagierte die Kirche mit der Entlassung zum 1. April 1998. Diese Kündigung war von deutschen Arbeitsgerichten bestätigt worden.

Dazu urteilten nun die Straßburger Richter, dass die deutschen Arbeitsgerichte lediglich die Argumentation der katholischen Kirche übernommen hätten, wonach der Musiker im Interesse der Glaubwürdigkeit nicht weiter beschäftigt werden könne. Das "de facto Familienleben des Mannes" sei nicht einmal erwähnt worden, hieß es in dem Urteil vom Donnerstag. Dem Chorleiter steht zudem eine Entschädigung zu, über die in einer kommenden Verhandlung entschieden werden muss. Das Bistum Essen nannte das Straßburger Urteil in einer ersten Stellungnahme eine Einzelfall-Entscheidung.

Mormonentempel in Friedrichsdorf im Taunus (Foto: dpa)
Mormonentempel in Friedrichsdorf im TaunusBild: picture alliance/dpa

Entgegengesetzt entschieden die Straßburger Richter im Fall eines früheren Beschäftigten der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage", besser bekannt unter dem Namen Mormonenkirche. Die deutsche Mormonenkirche hatte den Arbeitsvertrag ihres heute 51-jährigen Presse-Mitarbeiters gekündigt, nachdem dieser 1998 seinem kirchlichen Vorgesetzten eheliche Probleme und Seitensprünge nach 13-jähriger Ehe gestanden hatte. Der Mann aus Neu-Anspach im Bundesland Hessen, der seit 1986 als Gebietsdirektor Öffentlichkeitsarbeit tätig war, wurde auch exkommuniziert.

Hier befanden die Straßburger Richter, die deutschen Arbeitsgerichte hätten bereits alle wesentlichen Punkte berücksichtigt, die Kündigung sei nachvollziehbar. Zudem hätte dem Mormonen klar sein müssen, welche Bedeutung die eheliche Treue für seinen Arbeitgeber hat. Bei den Mormonen gilt Ehebruch als die "gräulichste aller Sünden".

Keine Grundsatzurteile

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) machte mit den beiden Urteilen deutlich, dass er sich nicht als Schiedsrichter für das Verhältnis von Staat und Kirche in den 47 Mitgliedstaaten des Europarats sieht. "Wenn Fragen des Verhältnisses von Staat und Kirche zur Debatte stehen, in denen es vernünftigerweise in einer demokratischen Gesellschaft tiefgreifende Meinungsunterschiede geben kann, ist es erforderlich, den nationalen Entscheidungsinstanzen eine besondere Rolle zukommen zu lassen", betonten die Straßburger Richter.

Autor: Hartmut Lüning (dpad, epd, KNA)
Redaktion: Kay-Alexander Scholz