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Was die Spione anrichteten, weiß keiner

5. September 2002

– Massiver Missbrauch des slowakischen Geheimdienstes in der Regierungszeit Meciars – Nach Umgestaltung des Informationsdienstes unter Dzurinda Vertauen des Westens wieder gewonnen

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Prag, 4.9.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Lubos Palata

In den 90er Jahren war der slowakische Geheimdienst ein williges Werkzeug unter Premier Meciar. Was die Spione anrichteten, weiß keiner. An Aufklärung dieser jüngsten Vergangenheit scheint jedoch kaum einer interessiert.

Als vor vier Jahren die Regierung von Mikulas Dzurinda in der Slowakei die Geschäfte übernahm, gehörte zu den erstrangigen sicherheitspolitischen Aufgaben die komplette Umgestaltung des Geheimdienstes, des so genannten Slowakischen Informationsdienstes (SIS). Der war in den vorangegangenen Jahren zwischen 1994 und 1998, als in Bratislava die links-nationalistische Regierung von Vladimir Meciar das Sagen hatte, zu einem Machtinstrument des Kabinetts geworden. Und das in seiner schlimmsten Form.

Der Slowakische Informationsdienst unter dem Chef Ivan Lexa hatte die Finger im Spiel, als der Sohn des damaligen Präsidenten Michal Kovac nach Österreich entführt wurde. Der Geheimdienst veranlasste auch die Liquidierung eines seiner Mitarbeiter, der bereit war auszusagen und sein Wissen schon an die slowakischen Medien weitergegeben hatte. Und der Geheimdienst - das belegen aktuelle Untersuchungsergebnisse - verübte Anschläge auf Journalisten, die sich für den Fall interessierten. In den Wahlen von 1998 engagierte sich der Geheimdienst ebenfalls. Wenigstens in einem konkreten Fall kann nachgewiesen werden, dass der SIS oppositionellen Politikern auf einer Wahlveranstaltung 1998 in Nitra Drogen unterschob.

Und der slowakische Geheimdienst unterhielt enge Beziehungen zur russischen Partnerorganisation. Geheimdienstchef Lexa war gemeinsam mit Premier Meciar mehrfach zu geheimen Gesprächen in Moskau. Daraufhin wurde Bratislava zur wichtigsten mitteleuropäischen Basis für russische Agenten. Der SIS hat dagegen nichts unternommen. Und aktuelle Untersuchungsergebnisse belegen, dass der SIS gemeinsam mit russischen Geheimdienstleuten Aktionen vorbereitete, mit denen die Osterweiterung der NATO durchkreuzt werden sollte. Dazu gehörte beispielsweise die initiierte Emigration von Roma aus Tschechien nach Westeuropa.

"Ganz offen wurde darüber gesprochen, den Integrationsprozess der Slowakei zu verhindern. Die Situation in der Slowakei sollte destabilisiert werden. NATO und Europäische Union sollten sagen können, dass ein Beitritt der Slowakei erst dann möglich sein wird, wenn sich die Lage wieder stabilisiert", erinnerte sich 1999 Jaroslav Svechota, der ehemalige Vizechef des Geheimdienstes unter Lexa.

Meciar wurde 1998 abgewählt, seine Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS) ging notgedrungen in die Opposition. Ein Großteil der ehemaligen SIS-Mitarbeiter verließ die Organisation und arbeitete als illegaler Geheimdienst für die Partei Meciars. Diejenigen, die zurückblieben, wurden sorgfaltig überprüft. Der slowakische Geheimdienst musste eigentlich völlig neu aufgebaut werden. Erst nach zwei Jahren war er wieder funktionsfähig. Mitarbeiter aus dem Umkreis von Ivan Lexa waren entlassen worden. Dafür blieben allerdings jene, die schon unter den Kommunisten für die Staatssicherheit gearbeitet hatten. Das war der Preis für die Umgestaltung des SIS.

Jan Langos, nach der Wende von 1989 föderaler tschechoslowakischer Innenminister und heute konservativer Abgeordneter des slowakischen Parlaments, unterbreitete den Vorschlag, die ehemaligen, kompromittierten Mitarbeiter der Staatssicherheit aus dem SIS zu entlassen. Dagegen stellte sich kategorisch der heutige Chef des Informationsdienstes Vladimir Mitro. "Das von Jan Langos vorgelegte Gesetz würde einige Abteilungen des Slowakischen Informationsdienstes kalt stellen", opponierte er. Gleichzeitig gab er zu, dass zehn Prozent der SIS-Mitarbeiter schon für die kommunistische Staatssicherheit gearbeitet haben. Das Gesetz hatte keine Chance: Präsident Rudolf Schuster lehnte es ab. Daraufhin scheiterte es in der zweiten Lesung im Parlament.

Trotzdem sind sich Experten einig: Der Slowakische Informationsdienst hat heute das Vertrauen der westeuropäischen Geheimdienste, er ist kein Hindernis auf dem Weg der Slowakei in die NATO und die EU.

Ein besonderes Kapitel in der jungen Geschichte des SIS ist die Zeit unter Ivan Lexa. Aktuell wird immer noch die Entführung des Sohnes des damaligen Präsidenten untersucht. Meciar hat noch knapp vor den Wahlen von 1998 in seiner Funktion als Premier sowie als verfassungsrechtlicher Vertreter des Präsidenten eine Generalamnestie auf den Entführungsfall verkündet. Lexa hat aber mehr auf dem Kerbholz. Vor mehr als zwei Jahren entwich er dem Zugriff der Untersuchungsbeamten durch eine überhastete Flucht ins Ausland. Im Juli diesen Jahres wurde er in Südafrika aufgegriffen und an die Slowakei ausgeliefert.

Aber lange musste er nicht in Untersuchungshaft sitzen. Das Oberste Gericht der Slowakei hat Formfehler der Untersuchungsbeamten zum Vorwand genommen, um Lexa aus der Haft zu entlassen. "Das Oberste Gericht verstößt gegen Gesetze", empörte sich Justizminister Jan Carnogursky. Premier Dzurinda bezeichnete die Entscheidung des Gerichtshofes als "skandalös."

Die Tage des Kabinetts Dzurinda sind gezählt. Zu Recht wird nun die Frage gestellt, ob der Fall Lexa überhaupt noch aufgeklärt wird. Ebenso, wie weitere Fälle aus der Zeit Meciars. Die Zweifel sind berechtigt. Der populärste slowakische Politiker und heiße Favorit der September-Wahlen Robert Fico erklärte unumwunden: "Die Slowakei hat 20.000 wichtigere Probleme als den Fall Lexa." (ykk)