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Türkische Erwartungen

Gunnar Köhne, Istanbul31. Dezember 2006

Die Türkei ist für Bundeskanzlerin Angela Merkel alles andere als eine Herzensangelegenheit. Dennoch darf sie während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Erwartungen der Türkei nicht aus den Augen verlieren.

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Eine türkische Flagge weht vor der Kemal-Atatürk-Brücke (Foto: AP)
Von der Bosporus-Brücke bis Brüssel scheint der Weg derzeit noch zu weitBild: dpa

Der Beitritt der Türkei zur EU ist bei den europäischen Bürgern und Politikern umstritten. Europaweit befürwortet nur etwas mehr als ein Viertel der EU-Bürger einen Beitritt. In Deutschland sind es Umfragen zufolge nur 16 Prozent. Aber auch in der Türkei schwindet die Beitrittseuphorie kontinuierlich. Nur noch 38 Prozent der Bevölkerung befürworten einen EU-Beitritt ihres Landes.

Dass Deutschland Anfang 2007 für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, kümmert die meisten Türken wenig. In Ankara fühlt man sich im Stich gelassen. Die Entscheidung, acht Verhandlungskapitel auf Eis zu legen, weil griechisch-zyprische Schiffe weiterhin nicht in türkischen Häfen anlegen dürfen, empfindet man dort als ungerecht. Schließlich sei die Wiedervereinigung Zyperns an dem Nein des Südens gescheitert.

Diplomatie gefordert

Die Türkei erwarte von der deutschen Regierung, dass die Verhandlungen in den nächsten sechs Monaten trotz des Widerstandes aus dem zyprischen Nikosia nicht völlig zum erliegen kommen, meint der Publizist Cengiz Aktar. "Die finnische Ratspräsidentschaft hat die griechische und die zyprische Regierung überredet, der Eröffnung eines weiteren Kapitels zuzustimmen, nämlich dem über Unternehmens- und Industriepolitik", erläutert Aktar. "Wir erwarten, dass weitere Kapitel eröffnet werden, bei fünf Kapiteln wäre das ohne weiteres möglich, beispielsweise Erziehung und Kultur." Die deutsche Regierung werde all ihr diplomatisches Geschick einsetzen müssen, um den Beitrittsprozess der Türkei voranzubringen, meint Aktar.

Mit einigem Wehmut erinnern sich viele in der Türkei an die Zeiten, als ein Bundeskanzler Schröder den EU-Beitritt ihres Landes kräftig unterstützte. Dass die jetzige Koalition in Berlin über die Türkei-Frage zerstritten ist, ist Medien und Politikern in der Türkei nicht entgangen.

Fallstricke in der Türkei

Auch die innenpolitische Situation im eigenen Land wirft große Fragen auf. Die 2007 anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen werfen ihre Schatten voraus, weitere Reformen für den Beitrittsprozess durchzusetzen wird zunehmend schwieriger, findet Aktar: "Wir haben jetzt einige Parteien, die offen gegen die EU sind. Die Welle des Nationalismus wird immer mehr sichtbar." Der Zusammenprall zweier Züge, über den im Zusammenhang mit dem Verhältnis zur EU immer gesprochen worden sei, droht der Türkei nun nach Aktars Ansicht vielmehr innenpolitisch. "Das ist ein Risiko." Er fügt aber auch hinzu, dass an einer völligen Abkehr von der EU niemand ein Interesse habe.

Die Ankündigung der EU, sich im Zypernkonflikt stärker zu engagieren und den isolierten Inseltürken die versprochenen Hilfsgelder zukommen zu lassen, wird von Ankara begrüßt. Eingeklemmt zwischen Türkei-Gegnern in Europa und EU-Gegnern im eigenen Land braucht die Regierung von Ministerpräsident Erdogan dringend ein Erfolgserlebnis im Verhältnis zur EU. Und vielleicht, so ist die leise Hoffnung mancher Türken, kann Deutschland dazu ja in den nächsten sechs Monaten ein wenig beitragen.