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Was hält Europa zusammen?

Bennet Krebs10. Januar 2013

2013 hat die EU zum "Jahr der Bürger" ausgerufen. Die Einwohner der EU sollen sich auf ihre europäische Identität besinnen. Nach der suchen Politiker und Wissenschaftler schon lange. Die Jagd nach einem Phantom?

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Europäische Flaggen (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

"Als Deutsche wird man in Paris nicht als sonderlich exotisch wahrgenommen, aber es werden gewisse Attribute zugeschrieben", sagt Maya Diehm. "Bei meiner Wohnungssuche ist mir beispielsweise aufgefallen, dass Deutsche tatsächlich als überdurchschnittlich ordentlich und zuverlässig gelten." Die Fünfundzwanzigjährige aus dem Rheinland lebt seit anderthalb Jahren in Paris, hatte dort bereits zuvor ein Auslandssemester absolviert. Sie fühlt sich in Frankreich ebenso zu Hause wie in Deutschland. Dennoch sind beide Länder für sie durchaus unterschiedlich. Die nationalstaatliche Identität zu bestimmen, ist möglich. Fraglich ist, ob das mit einer europäischen Identität auch klappt. Kann man diesen Anspruch an eine europäische Identität überhaupt stellen?

Bereits 1973 beschlossen die damals neun Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft am grünen Tisch eine "europäische Identität" zu schaffen. Vor zwanzig Jahren wurde sogar eine Art europäische Staatsangehörigkeit für die Europäische Union erfunden, die auf die Reisepässe aufgedruckt wird. Vielen Deutschen, Italienern oder Franzosen ist gar nicht klar, dass sie auch europäische Bürger sind. Das will die EU-Kommission mit Informationskampagnen und öffentlichen Debatten in diesem Jahr ändern. "Ihr Europäer" heißt es außerhalb Europas, vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika, schon lange. Innerhalb der Europäischen Union ist das anders. Hier definieren sich die Bürger nach ihrem Nationalstaat, ihrem Heimatland.

Frieden und Freiheit: Werte Europas

"Europäische Identität ist sehr komplex, letztlich kann sie als gemeinsames Bewusstsein von Europa verstanden werden", erläutert Professor Volker Kronenberg, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. "Dieses Bewusstsein ist durchaus vielschichtig." Es seien verschiedene historische und kulturelle Punkte, die sich an viele Stellen überlappten und das bildeten, was heute das Wort "europäisch" meine.

Eine Verkäuferin der Bäckerei Kern aus Brackenheim hält eine EU-Brezel in die Kamera (Foto: DPA)
Wie sehen die Bürger ihre EU? Hier als BrezelBild: picture-alliance/dpa

Der Politologe sieht Europa daher als nicht ganz eindeutiges Gesamtkunstwerk. Für Kronenberg sind vor allem Frieden, Freiheit und Wohlstand diejenigen Mosaiksteinchen, die besonders prägend für das Bewusstsein der Bürger in Europa sind. Besonders während der Gründungsjahre haben gemeinsame Ziele die europäische Identität geprägt: Man wollte den Schutz vor einer Wiederholung des Schreckens des Zweiten Weltkrieges.

Der Mensch im Mittelpunkt in Europa

Konflikte und Krisen hätten dazu geführt, dass Europa sich weiterentwickelt habe. "Europa hält etwas aus, doch darüber hinaus ist es mehr als nur ein Bollwerk", sagt der Bonner Politikwissenschaftler Kronenberg.

Mit blauen EU-Luftballons sitzt eine Gruppe vor dem Bundestagsgebäude in Berlin (Foto: DPA)
2007 wurde die EU 50 Jahre: Feier vor dem ReichstagBild: PA/dpa

Die griechische und römische Antike, die Aufklärung, der Humanismus und damit die Menschenrechte, das sind die historischen Schlüsselbegriffe europäischer Kultur. Dass der Mensch mit seiner Freiheit im Mittelpunkt steht, ist eine Kernleistung der europäischen Aufklärung. Für die in Frankreich lebende Maya Diehm spielt die Zugehörigkeit zu einer Nation keine wichtige Rolle. "Darüber definier ich mich nicht als Person", sagt Maya Diehm. "Vielleicht bin ich gerade deshalb europäisch", fügt sie hinzu.

Europa könne sich auf Werte wie Menschenrechte und Freiheit berufen, gerade auch, um die aktuelle Krise zu bestehen. Die Frage nach mehr Europa sei deswegen durchaus wichtig, glaubt Volker Kronenburg. "Doch Europa ist kein Labor, in dem mehr oder mächtigere Institutionen Identität künstlich erzeugen können." Europa habe sich immer entwickelt, selbst ohne klaren Fahrplan."

EU-Gipfel in Maastricht 1991 mit Mitterand (Foto: AP)
EU-Gipfel in Maastricht 1991: Die EU-Bürgerschaft wird eingeführtBild: AP

Die Grenzen der Identität

Nach Umfragen, die die Europäische Kommission in Brüssel in Auftrag gibt, hielt im Jahr 2011 ein Viertel der EU-Bürger die Europäische Union für Geldverschwendung. Nur die Hälfte der Befragten sieht in der Mitgliedschaft in der EU einen Vorteil, so "Eurobarometer". Die Identität scheint also bei den Bürgerinnen und Bürgern noch nicht angekommen zu sein. Die französische Philosophin Janie Pélabay sagte dem Internetportal "Euractiv", Identität sei auch kein Wert an sich, sondern ein Modell, das man von den alten Nationalstaaten kenne. "Das Problem besteht gar nicht so sehr darin zu wissen, ob man das Modell auf Europa übertragen kann, sondern darin, ob man es sollte. Es gibt keine 'europäische Nation' und die EU ist nicht dazu bestimmt, ein Nationalstaat im Großformat zu werden", so Janie Pélabay. Europa werde immer multikulturell und multinational bleiben, glaubt die französische Wissenschaftlerin. "Vor allem haben wir es mit einer Union eines ganz neuen Typs zwischen Völkern und Nationalstaaten zu tun, deren Verschiedenheiten bestehen bleiben und es auch bleiben sollten."

Blick in Europas Parlament in Strassburg (Foto: AP)
Einzige von den Bürgern gewählte EU-Institution: Europäisches ParlamentBild: Christian Lutz/AP/dapd

Diese Erkenntnisse will die Europäische Union nun ihren Bürgerinnen und Bürger im Jahr 2013 nahebringen, und zwar rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im nächsten Jahr. Die Wahlbeteiligung war verglichen mit nationalen Wahlen bisher sehr niedrig. Die EU-Kommission hofft, die Bereitschaft zum demokratischen Engagement zu steigern.