1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Glaube

Was ist, wenn man alles hat?

13. Oktober 2017

Armut ist hart und schwer. Aber wenn es einem gut geht, kommt die Angst davor, etwas zu verlieren. Und die kann lähmen. Wie man damit umgeht, erzählt Lucie Panzer.

https://p.dw.com/p/2lmEE
Symbolbild Bettler
Bild: Fotolia/Gina Sanders

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“

Wenn man alles hat, dann muss man sich keine Sorgen machen: wie schön! Es ist alles da: Essen und Trinken, ein Dach über dem Kopf, die Familie gesund, Schulen für die Kinder, Arbeit, die anständig bezahlt wird und noch dazu Freude macht. Wer das alles hat und vielleicht noch mehr, weiß oft gar nicht, wie gut es ihm geht. Erst wenn man die Not anderswo sieht, wird es einem klar.

Aber: wenn man alles hat und alles selbstverständlich da ist, dann wird man auch leicht träge und bequem. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, hat die Theologin Dorothee Sölle gesagt, „der Mensch stirbt auch am Brot allein“. Wenn einem das auskömmliche Leben selbstverständlich ist, dann wird man leicht blind für die, denen es anders geht. Und es fehlt einem das Verständnis dafür, dass es anders sein kann. „Sind die nicht selber Schuld, die nie auf einen grünen Zweig kommen? Ich habe es doch auch geschafft!“

 

Wer alles hat, will keine Veränderung

Wer selbstverständlich alles hat, den beschäftigt die Sorge merkwürdigerweise aber auch: die Sorge nämlich, dass es nicht so bleibt. Die Menschen kriegen Angst, dass es anders werden könnte. Hier bei uns in Deutschland kann man das überall spüren: Den meisten Menschen geht es vergleichsweise gut und sehr gut – aber sie haben Angst. Und sie versuchen mit aller Kraft sich und ihren Wohlstand dagegen zu schützen, dass es anders werden könnte. Aber so bleibt alles beim Alten. Neues kann sich nicht entwickeln. Und die anderen, denen es nicht so gut geht? Die müssen schon selber sehen, wo sie bleiben!

Manchmal denke ich: Vielleicht hat Jesus deshalb einem jungen reichen Mann empfohlen, alles wegzugeben, was er hat (Mk 10, 17-27). Der junge Mann wollte von ihm wissen, was er tun muss, damit er Chancen hat auf das ewige Leben. Und Jesus erinnnert ihn an die 10 Gebote. Die habe er alle gehalten, entgegnet der junge Mann. Er war also anscheinend ein anständiger Mensch. Einer, der sich nichts zuschulden kommen lässt. Einer, der niemandem etwas tut. Warum auch. Er hat ja alles, was er braucht.

Aber anscheinend spürt er: Das kann nicht alles sein. Irgendwas fehlt. Und er weiß nicht, was. Er tut doch, was er kann! Da rät ihm Jesus: „Verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen. So wirst du einen Schatz im Himmel haben. Und komm und folge mir nach.“

 

Mach die Augen auf

Soll er also ein Asket werden, der junge Mann? Einer, der irgendwo in einer Höhle haust und sich von Waldfrüchten und Quellwasser ernährt? Ich glaube nicht. Jesus nachfolgen ist schwer, wenn man sich vom Leben abschließt. Ich glaube, Jesus rät dem reichen jungen Mann: Hör auf, dich mit dir selbst zu beschäftigen. Hör auf zu fragen: Wie kann ich mich und meinen Wohlstand absichern. Bleib nicht bei dem, was Du schon immer gemacht hast. Mach die Augen auf für die Welt und die Möglichkeiten, die du hast. Mir fallen die Menschen in meiner Gegend hier in Württemberg ein. Über Jahrhunderte war man hier bitterarm. Deshalb sind viele ausgewandert – und haben es im fernen Amerika weit gebracht. Und manche haben angefangen zu tüfteln und zu erfinden, kleine und große Industriebetriebe sind entstanden und der Wohlstand ist gewachsen. Armut kann Kreativität freisetzen! Wenn man gezwungen ist, etwas zu probieren, dann entsteht Neues. Mehr jedenfalls, als wenn man ängstlich immer nur das Alte erhalten will.

„Geh hin und gib den Armen was du hast und folge mir nach!“ Ich höre Jesu Rat und denke mir: Wer weiß, was möglich ist, wenn man ganz neu denken muss. Die Generation meiner Eltern hat das noch erlebt, als sie nach dem Weltkrieg neu anfangen mussten. Ich glaube nicht an die Romantik der Armut. Das war bestimmt schwer und sie waren oft verzagt. Aber es ist etwas entstanden! Wir heute, die Erben, wir haben Angst, dass man uns etwas wegnehmen könnte. Wir verwenden unsere Kraft darauf, dass zu erhalten, was wir haben. Dabei: Wer weiß, was möglich wäre, wenn wir ganz neu zu denken anfangen!

die evangelische Pfarrerin Lucie Panzer Stuttgart
Bild: GEP

Ein Text von Dr. Lucie Panzer, Rundfunkpfarrerin