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Leipzig im Finanzdschungel

Jennifer Stange5. August 2014

Ein kommunaler Finanzskandal wird derzeit vor dem High Court of Justice in London aufgearbeitet. Die Schweizer UBS-Bank klagt dort gegen die Wasserwerke Leipzig. Es geht um 400 Millionen Euro.

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Das Verwaltungsgebäude der Kommunalen Wasserwerke Leipzig auf einem Archivbild (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Geschichte um die Leipziger Wasserwerke liest sich wie eine Episode aus Don Delillos Roman "Cosmopolis". Er beschreibt die selbstzerstörerische Irrationalität des modernen Finanzkapitalismus und wie Menschen in einem System, das sie selbst geschaffen haben, aber nicht mehr verstehen, untergehen.

Protagonist dieser Geschichte ist die Stadt Leipzig in Sachsen. Sie wollte das schnelle Geld und brachte deshalb in einen Deal mit einem amerikanischen Fonds die Wasserwerke ein. Die wurden auf dem Papier für eine bestimmte Zeit verkauft, dafür kassierte die Stadt Geld und gleichzeitig wurden die Wasserwerke wieder zurück geleast. Cross-Border-Leasing, kurz CBL heißt dieses Geschäft. Ab Ende der 1990er bis Mitte der Nullerjahre war dieses Spekulationsgeschäft bei deutschen Kommunen und Städten geradezu in Mode. Mittlerweile ist dies verboten, denn der Clou des CBL war: Die Amerikaner konnten diese Einkäufe durch eine Gesetzeslücke von der Steuer absetzen und gaben einen Teil diese Ersparnisse an ihre Partner in Deutschland weiter. Das Steuerschlupfloch in den USA ist mittlerweile geschlossen. Die Kommunen, die lockere Steuergesetzte in Amerika ausnutzten wollten, müssen deshalb nicht erst seit der Finanzkrise für ihre heiklen Geschäft büßen. Die Stadt Leipzig hat der Ausflug in den Finanzdschungel in mehrfacher Hinsicht hart getroffen.

Bildergalerie Schweiz Steuern Logo der Schweizer Großbank UBS in Zürich
Die Schweizer Großbank UBS sieht sich im RechtBild: picture-alliance/dpa

UBS zahlte Risiko-Prämie

Der riskante Deal sollte mit weiteren Finanzgeschäften mit drei Großbuchstaben abgesichert werden: mit einem CDS (Credit Default Swap), einer üblichen Kreditausfallversicherungen. Diese Versicherung wiederum wurde mit einem ganz besonderen Produkt finanziert: Mit CDO-Papieren der Schweizer UBS-Bank. CDO steht für "Collateralized Debt Obligations". Die meisten Menschen haben von diesen Produkten noch nie etwas gehört, Fachleute sprechen bei diesem hochriskanten und komplizierten Finanzinstrument von "Schrottpapieren". Die UBS zahlte immerhin eine Prämie 40 Millionen Euro, um das gesamte Risiko auf die Wasserwerke zu übertragen. Von dem Geld, so sagt es LVV-Sprecher Frank Viereckl, sein aber nie etwas angekommen. So oder so: Das Spiel ging schief. Ende 2009 standen die Wasserwerke mit 29 Millionen Euro bei der UBS in der Kreide. Die Bank wollte ihr Geld zurück und klagte in London.

Leipzig will die Verträge für nichtig erklären

Norbert Menke, Chef der städtischen Holding Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (LVV) hält die Verträge allerdings für ungültig. "Dieses Geschäft ist von beiden Seiten, vom damals zuständigen Geschäftsführer, aber nach unserer Überzeugung auch aus Sicht der Bank, mit krimineller Energie voran getrieben worden".

Tatsächlich wurde der damalige Geschäftsführer der Wasserwerke sowie zwei Finanzberater, die das Geschäft mit der UBS vermittelt haben, unter anderem wegen Bestechlichkeit und Bestechung von einem deutschen Gericht zu Haftstrafen verurteilt. Als erwiesen wurde angesehen, dass die Finanzberater den Geschäftsführer mit mehr als drei Millionen Euro Schmiergeld bestochen haben. Die deutschen Wirtschaftsblätter "Handelsblatt" und "Wirtschaftswoche" legten zudem nahe, dass ebenfalls ein "hoher UBS-Manager" vom Zustandekommen der Verträge gewusst habe. Die UBS kommentierte dies nicht und teilte auf Anfrage nur mit, man glaube an die Gültigkeit entsprechender Verträge mit den Leipziger Wasserwerken.

In dem Verfahren vor dem High Court of Justice in London wurden am vergangenen Freitag (01.08.2014) die Plädoyers abgeschlossen, ein Urteil wird frühestens Ende September erwartet. Egal wie dieses Verfahren ausgeht, in Leipzig herrscht, wie in vielen anderen deutschen Städten auch, Katerstimmung. Von "Finanzmarktgeschäften" will Menke nicht sprechen, allerdings sei man nach wie vor auf "Instrumente" angewiesen, um Investitionen in die kommunale Infrastruktur sicherzustellen. Die Risikofreude sei jedoch vergangen.

Bildergalerie zum Städteportrait Leipzig
Die Stadtväter im Neuen Rathaus zu Leipzig sehen sich ebenfalls im RechtBild: DW

Die unternehmerische Stadt

Conny Petzold von der Universität Frankfurt glaubt nicht an einen grundlegenden Sinneswandel auf kommunaler Ebene. In einer Studie von 2012 hat sie die Auswirkung von Finanzgeschäften auf Kommunen untersucht. Das kommunale Selbstverständnis habe sich grundlegend zu einer "unternehmerischen Stadtpolitik" gewandelt. Schon seit Jahrzehnten reichten die Einnahmen nicht um die Ausgaben zu decken, ebenso lange fehle auf Bundesebene der politische Wille, diese Löcher zu stopfen. Deshalb wächst trotz Sparpolitik der Schuldenberg der Kommunen stetig - womit der Kreditbedarf steigt. Gerade hochverschuldete Kommunen würden auch nach der Finanzkrise auf heikle Finanzprodukte setzen um ihre Schuldenlast zu senken, so Petzold.

Und eben weil diese Geschäfte so kompliziert und die Folgen auch für Stadtlkämmerer häufig nicht abschätzbar wären, würde über es das Für und Wider häufig nicht einmal eine politische Auseinandersetzung geführt. Das sei "ein Problem für die lokale Demokratie", glaubt Petzold.

Geschäfte auf Augenhöhe

Ines Zenker, Fachanwältin für Verwaltungsrecht und Expertin für den Derivatehandel, sieht in Finanzmarktprodukten durchaus ein sinnvolles und wirkungsvolles Mittel, um die klammen Kassen der Städte und Kommunen aufzufüllen. Allerdings müssten die häufig Aktenordner füllenden Verträge genau gelesen, verstanden und bewertet werden. Ein Problem der Vergangenheit, auf das die MiFID, die "Financial Instruments Directive" der Europäischen Union, zu deutsch Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, nun reagiere: Banken dürfen Kommunen zukünftig nicht mehr als gleichwertige Partner behandeln, sondern wie einen Privatkunden.

Für die Banken heißt das: Sie müssen mehr aufklären und das erhöhe auch ihr Haftungsrisiko, so Zenker. "Und das ist auch richtig so, denn wie wir gesehen haben: Kämmerer und Geschäftsführer sind mit einem Investmentbanker nicht auf Augenhöhe, was die komplexen Produkte angeht."

Der Roman "Cosmopolis" erzählt die Geschichte des hochintelligenten und gebildeten Brokers, der den Irrationalismus und Wahnsinn des Finanzkapitalismus verkörpert. Sieger bleibt der unbegrenzte Markt, der mittlerweile auch in Lebensbereiche eindringt, die bis vor einiger Zeit als unverkäuflich galten - wie die Grundversorgung der Städte.