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Wechselspiel im Reich der Mitte

Hanno Grieß15. November 2002

Propaganda auf allen Kanälen: "Die KP Chinas bewältigt erfolgreich den wirtschaftlichen Umbruch und die politische Modernisierung", heißt es offiziell. Über den Wechsel an der Parteispitze wird allerdings geschwiegen.

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General-Versammlung: Der 16. Parteitag der KPBild: AP

Noch ist es nicht amtlich, aber für Jiang Zemin wird es wohl der letzte Parteitag als Staatspräsident sein. Auch wenn der zu erwartende Umbruch, wie in China üblich, bis zuletzt wie ein Geheimnis behandelt wird: Die Anzeichen für einen Wechsel mehren sich. Kurz vor Beginn des Parteitags hatte das mächtige Zentralkomitee der Kommunistischen Partei getagt. Es würdigte schon einmal demonstrativ die Verdienste Jiangs während seiner 13-jährigen Amtszeit – sozusagen ein Abgesang auf den scheidenden Staatschef.

Unter Jiang habe die Partei einen historischen Durchbruch in der Reform Chinas erzielt, urteilte das Plenum. Nach Jiang Zemins Theorie der sogenannten "Drei Vertretungen" will die Partei künftig nicht mehr nur Arbeiter und Bauern, sondern auch private Unternehmer und sogar Millionäre aufnehmen. Jiangs ideologische Neuausrichtung will der Parteitag jetzt in der Satzung der KP verewigen.

Programmatische Stille

Für den Parteitag sind Erfolgsmeldungen gefragt. Seit Wochen wird die Bevölkerung mit ihnen überschüttet. So werden zum Beispiel die positiven Seiten des neuen Yangste-Staudamms betont, für den eine Million Menschen umgesiedelt werden mussten. Medienwirksam wurden in den vergangenen Tagen die letzten Wohnhäuser am Fluss gesprengt und der Beginn der Stauung live im Staatsfernsehen übertragen.

Arbeitslose in China
Arbeitslosigkeit als Schattenseite der WirtschaftsentwicklungBild: AP

Die heftigste Propagandakampagne seit Maos Zeiten kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass weitgehend verschwiegen wird, welche Weichenstellungen auf dem Programm des Parteitags stehen. Die zentralen gesellschaftlichen Themen wie wirtschaftliche Privatisierung, weitere Lockerung politischer Kontrolle oder zunehmende parteiinterne Demokratisierung werden konsequent totgeschwiegen. Die höchste Sicherheitsstufe soll dem Parteitag zum Erfolg verhelfen. "Erfolgreich" heißt vor allem: ohne Störung.

Nachfolger und Reformer?

Auf dem Parteitag wird auch das Zentralkomitee der KP neu gewählt. 196 ständige und 139 alternative Mitglieder hat das Gremium und ist das oberste Entscheidungsorgan zwischen den Parteitagen, die nur alle fünf Jahre stattfinden. Nachfolger von Jiang Zemin wird vermutlich der bisherige Vizepräsident und Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros, Hu Jintao.

Zwar steht auch das noch nicht fest, aber als "Kronprinz" hat Hu bereits Reisen nach Europa und in die USA unternommen. Sollte er der neue Staatschef werden, steht er jedenfalls für Kontinuität. Außenpolitisch sind von ihm keine dramatischen Änderungen zu erwarten, sondern eher Berechenbarkeit, vor allem im Verhältnis zu den USA. Wirtschaftlich gehen Beobachter davon aus, dass er die Öffnung und Liberalisierung weiter vorantreiben wird. Innenpolitisch vertritt den unangefochtenen Machtanspruch der Kommunistischen Partei.

Reform-Notstand

Gerade wegen des immer noch bestehenden Machtanspruchs muss die Partei zuerst sich reformieren, bevor sie die Modernisierung des Staates in Angriff nimmt. Die ungleiche wirtschaftliche Entwicklung - prosperierende Küstenregionen, armes Inland - spaltet das Land zunehmend auf. Shenzhen zum Beispiel ist die erste Sonderwirtschaftszone und eine Oase für Chinas neue Millionäre, mit mehr als 100 Golfplätzen im Umland. Doch für die Millionen von arbeitslosen Arbeitern, die aus den ländlichen Provinzen einwandern, bietet sie katastrophale Bedingungen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist heute in China bereits größer als in Brasilien.