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EU Italien

12. April 2011

Italien macht im aktuellen Streit um Flüchtlinge aus Nordafrika keine gute Figur. Aber auch die EU insgesamt lässt vermissen, was nötig wäre: eine schlüssige Asyl- und Einwanderungspolitik - meint Klaus Dahmann.

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DW-Grafik Kommentar
Bild: DW

Italiens Politiker überschlagen sich in der Flüchtlingsfrage vor Übertreibungen: Ob nun Ministerpräsident Silvio Berlusconi einen "menschlichen Tsunami" auf die Strände seines Landes zurollen sieht oder Innenminister Roberto Maroni vor einem "Exodus biblischen Ausmaßes" warnt – hier betreibt eine Regierung Panikmache, die weder gut für Italien noch für die Europäische Union ist. Die schätzungsweise 23.000 Flüchtlinge, die in den vergangenen Wochen nach Lampedusa übergesetzt haben, sind durchaus noch im Rahmen dessen, was ein Land wie Italien schultern kann. Zumal es sich vorwiegend um Wirtschaftsflüchtlinge aus Tunesien handelt, von denen offenbar nur ein geringer Teil überhaupt einen Asylantrag gestellt hat. Der größte Teil könnte daher direkt wieder ins Heimatland abgeschoben werden.

Doch Italien scheint auf solche Flüchtlingsströme schlicht nicht vorbereitet zu sein. Oder – noch schlimmer – Rom will gar nicht darauf vorbereitet sein. So produziert man Fernsehbilder von völlig überfüllten Camps, mit denen Druck auf andere europäische Regierungen ausgeübt wird, dass sie endlich anbieten, die Flüchtlingslast zu teilen. Diesem italienischen Ansinnen haben die übrigen EU-Länder jedoch eine deutliche Absage erteilt.

Also drehen Berlusconi und Maroni die Eskalationsschraube noch ein Stückchen weiter, indem sie drohen, den Flüchtlingen befristete Aufenthaltsgenehmigungen für den Schengen-Raum, in dem es normalerweise keine Grenzkontrollen mehr gibt, auszustellen. Denn es ist ja kein Geheimnis, dass viele gar nicht in Italien bleiben sondern aus sprachlichen Gründen in Richtung Frankreich weiterziehen möchten. Frankreich hat nun wieder Grenzkontrollen eingeführt, auch in Deutschland denkt man darüber nach. Ist das der Anfang vom Ende des hehren Projektes eines grenzenlosen Europas?

Mitnichten. Die Situation ist auf allen Seiten weit weniger dramatisch als es derzeit dargestellt wird: Weder geht Italien im "Flüchtlings-Tsunami" unter, noch ist, wie von Österreichs Innenministerin Maria Fekter heraufbeschworen, mit einem "enormen Staubsaugereffekt" auf andere Migranten zu rechnen. Die Überfahrt in kleinen Booten nach Lampedusa ist äußerst riskant – Tausende lassen dabei jedes Jahr ihr Leben, wie Hilfsorganisationen schätzen. Die Wogen in der EU werden sich wieder glätten, spätestens wenn die Wogen auf dem Mittelmeer höher schlagen und die Hochsaison der Flüchtlingsboote aus Nordafrika vorbei ist.

Was diese Episode allerdings wieder offenbart: Die Europäische Union hat 16 Jahre nach dem Schengener Abkommen keine Binnengrenzen mehr, ist aber noch weit von einer gemeinsamen Flüchtlings- und Asylpolitik entfernt. Das hat man bisher dadurch zu kaschieren versucht, dass man diktatorischen Staatschefs wie Zine el-Abidine Ben Ali oder Muammar Gaddafi Dutzende Millionen Euro jährlich in den Rachen schob, damit diese große Flüchtlingsströme aus ihren Ländern verhinderten. Nun fallen diese einstigen "Garanten der Festung Europa" weg. Es scheint, als könnten einige EU-Politiker ihr "O weh!" kaum unterdrücken.

Es ist Zeit für ein Ende der Verlogenheit in Europa: für eine gemeinsame und verantwortungsvolle Politik gegenüber den neuen Regierungen in Nordafrika, die den Menschen dort mittelfristig Perspektiven schafft; für eine gemeinsame Asylpolitik mit einheitlichen Standards; und für eine vernünftig gesteuerte Einwanderungspolitik.

Autor: Klaus Dahmann

Redaktion: Michael Borgers