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Weichenstellung für die russische Außenpolitik

17. März 2005

Wladimir Putin wird am Samstag (19.3.) zu einem Besuch in Kiew erwartet. Zuvor wird er bei einem informellen Gipfel in Paris über die Beziehungen Russlands zur EU sprechen. Wohin steuert Russlands Außenpolitik?

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Schwieriges Verhältnis: Putin und Juschtschenko im Moskauer Kreml (Januar 2005)Bild: AP

Das buchstäbliche Zähneknirschen war weit über die Grenzen Moskaus hinaus zu hören: Die politische Wende in der Ukraine, die Abwahl des Kreml-Lieblings Wiktor Janukowytsch, die friedlichen Demonstrationen und der Machtwechsel hin zu dem westlich orientierten Präsidenten Wiktor Juschtschenko haben die russische Führung tief verstört. Aus Moskauer Sicht war die "orange Revolution" vom Westen, insbesondere den USA und der Europäischen Union, ferngesteuert. Und das Ziel schien klar: Russland sollte mit dem Herausbrechen der Ukraine aus seinem Einflussbereich ein weiteres Mal geschwächt werden.

Unerwartete Gesprächspartner

Wenn Putin am Wochenende (19.3.) nach Kiew reist, trifft er also auf einen Präsidenten, auf den er nicht gesetzt hat, und -mehr noch- auf eine Ministerpräsidentin, Julija Tymoschenko, gegen die in Russland ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Eine schwierige Konstellation. Noch im Januar hatte Juschtschenko seinen ersten Auslandsbesuch beim russischen Amtskollegen gemacht. Seither sind die Unstimmigkeiten zwischen Kiew und Moskau offiziell beigelegt, doch in Russland hat man sich nur mühsam mit den neuen Gegebenheiten im Nachbarland abgefunden. Anlässlich der ersten, freilich eher protokollarischen Begegnung mit Wiktor Juschtschenko sagte Wladimir Putin: "Wir zählen sehr darauf, dass sich die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine so weiter entwickeln wie bisher. Wir arbeiten mit der Ukraine sehr gut zusammen, im handels-wirtschaftlichen und humanitären Bereich. Die Umsätze sind sehr groß in den letzten Jahren."

Politischer Spagat

Und so wird wohl auch weiter russisches Erdgas und Erdöl durch ukrainische Pipelines fließen, es werden Ukrainer Arbeit in nahe gelegenen russischen Städten suchen. Ob die von russischen Interessen geprägten ökonomischen Verhältnisse im Osten des Landes tatsächlich neu geordnet werden, ist keinesfalls klar. Alles deutet jedenfalls darauf hin, dass die neue ukrainische Führung Russland nicht die Tür vor der Nase zuschlagen will, sondern eine Art politischen Spagat zwischen West und Ost versucht - auch vor dem Hintergrund vielfältiger sprachlicher und kultureller Gemeinsamkeiten mit dem großen russischen Nachbarn. Präsident Juschtschenko wird unterdessen auch nicht müde zu betonen: "Unsere Politik ist gegen niemanden gerichtet, die Harmonisierung unserer Beziehungen ist wichtig und die Entwicklung unserer Interessen in östlicher Richtung, denn Russland ist für uns ein strategischer Partner. Andererseits ist unser strategisches Ziel die Annäherung an die EU. Es wird unterschiedliche Methoden und Instrumente geben, nach Osten und nach Westen. Das ist nicht gegen jemanden gerichtet, das sind zwei Vektoren unseres politisch-ökonomischen Kurses."

Schwindender russischer Einfluss

Trotz dieser versöhnlichen Bekundungen - der Stachel von Misstrauen und Kränkung sitzt in Moskau tief. Russland ist zwar der wichtigste Handelspartner für die Ukraine geblieben, doch es bezahlt jetzt einen Preis für seine einseitige Parteinahme für den Wahlfälscher Janukowytsch. 14 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion stellt man in Moskau einmal mehr fest, dass der russische Einfluss in der einstigen Machtsphäre schwindet. Der Verlust der Großmachtrolle nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde von vielen Russen ohnehin als tiefe Demütigung empfunden. Präsident Putin strebt unterdessen danach, eine imperiale Außenpolitik im alten Stil fortzusetzen. Freilich verliert er allmählich potenzielle Bündnispartner: Die 2002 geschmiedete Allianz zwischen Russland, Weißrussland, der Ukraine und Kasachstan - natürlich unter Führung des Kreml - ist nie richtig in Gang gekommen, als einziger Verbündete scheint nun der in Minsk autoritär herrschende belarussische Präsident Aleksandr Lukaschenko übrig zu bleiben.

Enttäuschung über EU

Noch bevor er Kiew einen Besuch abstattet, trifft sich der russische Präsident bei einem informellen Gipfel in Paris mit dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac, dem spanischen Regierungschef Zapatero sowie Bundeskanzler Gerhard Schröder - die außenpolitischen Prioritäten wären damit klar.

Wladimir Putin ist weiterhin daran gelegen, gute Beziehungen zur Europäischen Union aufrechtzuerhalten. Dennoch werden auch hier immer wieder Vorbehalte und Enttäuschung sichtbar: Russland glaubt sich in Europa an den Rand gedrängt, als Bittsteller behandelt und nicht als gleichwertiger Partner, oberlehrerhaft belehrt darüber, wie der demokratische Wandel zu gestalten sei, zu Unrecht für seine Tschetschenienpolitik und rechtsstaatliche Defizite kritisiert. Das sorgt für Frustration.

Unterschiedliche Vorstellungen

Es gibt im Westen Europas Beobachter, die Russland als zerrissen wahrnehmen und trotz aller Annäherungsversuche gravierende Unterschiede in den Wertvorstellungen diagnostizieren. So schrieb Michael Thumann in der Wochenzeitung "Die Zeit", dass Russland letztlich andere Ziele verfolge als die EU: "Freiheit des Handelns zu gewinnen heißt für Moskau nicht, anderen Freiheit zu gewähren. Hier prallen zwei Weltanschauungen aufeinander: das autoritäre gegen das demokratische Modell, Diktat gegen Kooperation, der Großraum Eurasien gegen das kleinteilige, plurale Europa".

Die neue Partnerschaft Russlands mit der EU ist noch nicht besiegelt - in Paris wird man am Freitag (18.3.) vielleicht einen Anlauf nehmen, um einem neuen Modell auf der Basis bereits vorliegender Erklärungen und Beschlüsse Impulse zu geben. Nach schnellen Lösungen sieht es jedoch nicht aus. Und die russische Außenpolitik wird weiter nach Orientierung suchen.

Cornelia Rabitz
DW-RADIO/Russisch, 17.3.2005, Fokus Ost-Südost