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Spanien in der Krise

Ralf Bosen30. März 2012

Der spanischen Regierung steht ein heißer Frühling bevor. Obwohl der Zorn in der Bevölkerung über die Sparprogramme wächst, plant sie weitere Kürzungen: Es ist Zeit für die Vorstellung des neuen Haushaltsentwurfes.

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Demonstrators try to block a street during the general strike in Madrid, Thursday, March 29, 2012. Spanish unions angry over economic reforms are waging a general strike, challenging a conservative government not yet 100 days old and joining other troubled European workers in venting their frustration on the street. (Foto:Pedro Acosta/AP/dapd)
Spanien GeneralstreikBild: AP

Nun ist es offiziell: Die spanische Regierung um den konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy hat am Freitag (30.03.2012) weitere drastische Kürzungen für dieses Jahr vorgestellt. Der Haushaltsentwurf, der am Dienstag ins Parlament geht, sieht Einsparungen in Höhe von 27 Milliarden Euro vor. Das ist aber nur der erste Schritt für weitere bevorstehende Kürzungen, denn das Euro-Sorgenland hat im vergangenen Jahr mehr Schulden gemacht als geplant. Deshalb soll die Regierung in Madrid nach dem Willen der EU-Kommission das Defizit vom vergangenen Jahr von 8,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2013 auf drei Prozent senken. Rajoy sprach von der Verabschiedung "eines sehr ausgedünnten Haushalts". Eine harmlos klingende Aussage angesichts der Tatsache, dass der konservative Politiker in den nächsten beiden Jahren rund 60 Milliarden Euro einsparen muss.

Gürtel noch enger schnallen

Die Einsparungen für 2012 sollen durch Steuererhöhungen, Gehaltskürzungen und Einschnitte beim öffentlichen Dienst zusammenkommen. Mit den 27 Milliarden Euro ist aber noch nicht mal die Hälfte e des Sanierungsziels erreicht. Staatsdiener und Steuerzahler müssen sich darauf einstellen, den Gürtel noch enger zu schnallen. Als erste Reaktion hatten die Gewerkschaften zu einem 24-stündigen Generalstreik am Donnerstag aufgerufen. Es steht viel auf dem Spiel. Wenn die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone dabei versagt, ihre Schulden in den Griff zu kriegen, droht die Krise außer Kontrolle zu geraten. Weil Spaniens Wirtschaft mehr als doppelt so groß ist wie die Irlands, Griechenlands und Portugals zusammen genommen, könnten die EU-Rettungsschirme überlastet werden.

Spanien Mariano Rajoy Konservative Partei (Foto: AP)
Der spanische Ministerpräsident Mariano RajoyBild: AP

Angst vor sozialem Abstieg

Die Einsparungen im Haushalt sind Teil eines umfassenden Reformpakets, das den sozialen Frieden des Landes auf eine harte Bewährungsprobe stellt. Erst vor wenigen Wochen gingen in mehreren Städten wiederholt tausende Menschen auf die Straße. Hatten sich die Spanier in früheren Kundgebungen diszipliniert verhalten, so kam es in Barcelona und Valencia zu gewaltsamen Ausschreitungen. Das sind alles Zeichen dafür, dass die Angst vor dem wirtschaftlichen und sozialen Abstieg große Teile der Bevölkerung erfasst hat, und dass die "außerordentlich aggressive Reform", wie sie Wirtschaftsminister Luis de Guindos offen bezeichnete, das Land schleichend gesellschaftlich verändert.

Polizisten gehen mit Schlagstöcken gegen protestierende Studenten in Barcelona vor (Foto:AP/dapd)
Anfang März: Studentenproteste in BarcelonaBild: dapd

Kernstück des Reformprogramms sind die einschneidenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Dazu zählen schnellere Kündigungen und mehr Flexibilität für Unternehmen. Im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen sind ebenso Stellen abgebaut worden wie in öffentlichen Betrieben. Nach der Reform erhalten Arbeitnehmer bei einer Entlassung nur noch 33 Tage Lohn pro Jahr Betriebszugehörigkeit und nicht mehr 45. Besonders stark gebeutelte Unternehmen bezahlen sogar nur 20 Tage pro Jahr. Ferner sind Steuererleichterungen für Unternehmen vorgesehen, die Arbeitsplätze schaffen, und eine Probezeit von einem Jahr, in der den Arbeitnehmern ohne Abfindung gekündigt werden kann

"Ein teuflischer Scheideweg"

De Guindos hatte das Reformprogramm mit dem Hinweis verkündet, dass insbesondere Arbeitsplätze für Jugendliche geschaffen werden sollen. Aber gerade die jungen Menschen, wie Studenten und Oberschüler, sind es, die gegen die Pläne protestierten. Trotz aller Kritik und Unsicherheit wird die spanische Regierung mit ihrem Sparprogramm Kurs halten müssen, sonst würde sie ihre Glaubwürdigkeit gegenüber der Europäischen Union und den Finanzmärkten gefährden.

Eine Gruppe Arbeitslose (foto:EPA/FERNANDO VILLAR)
Arbeitslose warten vor einem Jobcenter in MadridBild: picture alliance/dpa

Mittlerweile erscheinen selbst sonst meinungsfreudige Medienhäuser ratlos. So heißt es in einem Kommentar der Tageszeitung "El Pais": "Es gibt in der jüngsten Wirtschaftsgeschichte keinen vergleichbaren Fall. Spanien befindet sich an einem teuflischen Scheideweg: Das angeschwollene Defizit macht Sparmaßnahmen unverzichtbar. Allerdings verschlimmern diese die ohnehin labile Wirtschaftslage. Laut der Experten wird Spanien die Forderungen nicht einhalten können, wenn es nicht mehr Zeit bekommt."

Höchste Arbeitslosigkeit in EU

Noch vor wenigen Jahren galt Spanien als boomendes Urlaubsland. Doch dann platzte die Immobilienblase und die Wirtschaft stürzte ab. Von diesem Schlag hat sich das Land nicht erholt. Es steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, wegen der tausende Firmen pleite gegangen sind. Viele Menschen blicken in eine ungewisse Zukunft. Mit einem Rekordstand von 23 Prozent Arbeitslosen (5,3 Millionen) hat das Königreich die höchste Erwerbslosigkeit der EU. Bei den unter 25-Jährigen sind sogar fast 50 Prozent ohne Job, Tendenz steigend. Nun rächt sich, dass Spanien zu lange auf mit Hotels zugebaute Urlaubstrände und schlecht bezahlte Jobs in der Gastronomie gesetzt hatte, anstatt in Forschung und Entwicklung oder in eine hochwertige Ausbildung der nachwachsenden Generation zu investieren. Es ist keine Überraschung, dass heute immer mehr junge Spanier ihr Glück im Ausland suchen.

Mit einem Schild, auf dem in spanischer Sprache "se vende" (zu verkaufen) steht, wird eine Immobilie am in dem südspanischen Urlaubsort Torrevieja zum Verkauf angeboten. An der Costa Blanca stehen derzeit infolge der Finanzkrise zahlreiche Immobilien, auch in bester Lage, zum Verkauf. (Foto: dpa)
Immobilienverkauf in SpanienBild: picture-alliance/Patrick Seeger