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Weitreichendes Gesetz

Stefanie Suren14. Juni 2003

Die US-Regierung hat Belgiens Justiz ins Kreuzfeuer genommen, weil es dort ein Gesetz zur Bestrafung von Kriegsverbrechern in aller Welt gibt. Deutschland droht ein ähnlicher Zwist. Auch hier gibt es ein solches Gesetz.

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Schwieriger Balanceakt: internationales RechtBild: Illuscope

Am 30. Juni 2002 - einen Tag bevor der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet wurde - ist in Deutschland das so genannte "Völkerstrafgesetzbuch" in Kraft getreten. Danach können, theoretisch, US-Bürger, denen beispielsweise Kriegsverbrechen im Irak vorgeworfen werden, von deutschen Gerichten belangt werden.

Wozu ermächtigt das "Völkerstrafgesetzbuch"?

Das Völkerstrafgesetzbuch erweitert wesentlich die Kompetenzen der deutschen Justiz: Deutsche Staatsanwälte können bei Verbrechen gegen das Völkerrecht Anklage erheben - selbst wenn weder Täter noch Opfer deutsch sind und die Tat nicht auf deutschem Gebiet geschah. Strafanzeige kann übrigens jeder erstatten: Deutsche ebenso wie Bürger anderer Länder.

"Nach der so genannten Komplimentaritäts-Klausel kann und wird der Internationle Gerichtshof nur dann tätig, wenn nationale Gerichte nicht in der Lage und bereit sind, dies selbst zu tun", erklärt Peter Wilkitzki, der verantwortliche Abteilungsleiter des Bundesjustizministeriums. Kurz gesagt: Weil Deutschland im eigenen Land jedes Verbrechen deutscher Soldaten ahnden kann, wird der Internationale Gerichtshof nicht eingreifen.

Neue Definition von Verbrechen

Deutschland hat mit diesem Völkerstrafgesetzbuch für sich erreicht, wofür die USA vom UN-Sicherheitsrat Garantien verlangen. Denn weil es dieses Gesetz gibt, müssen deutsche Bürger nicht auf die Anklagebank des Internationalen Strafgerichthofs. Die deutsche Justiz kann zudem mehr Verbrechen bestrafen.

Im deutschen Völkerstrafgesetzbuch sind Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit neu definiert: Folter war bisher nur als Körperverletzung strafbar, jetzt fällt es unter die Rubrik Kriegsverbrechen - und das auch, wenn kein Deutscher an der Tat beteiligt ist. Eine weitere Neuerung: Ein Befehlsgeber ist für Taten seiner Untergebenen direkt verantwortlich. Allerdings können nicht alle Verbrechen der Vergangenheit nun in Deutschland vor Gericht kommen: Nur Völkermord ist rückwirkend strafbar. Verbrechen, die nach dem 30. Juni 2002 begangen wurden, können nicht verjähren.

Internationales Recht = nationales Recht

Deutschland hat damit ein Gesetz, das fast identisch ist mit dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Das heißt: Unter bestimmten Umständen könnte beispielsweise ein US-Soldat wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden. Dieses Anklage-Recht wollen die USA dem Haager Strafgerichtshof nicht zugestehen - und setzten am 12. Juni 2003 im UN-Sicherheitsrat ohne Gegenstimme eine einjährige Verlängerung der Sonderregelung durch, die ihre Staatsbürger von einer Verfolgung durch das Tribunal schützt.

Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch hat die US-Regierung bisher nicht kommentiert. Würde jedoch ein US-Soldat in Deutschland inhaftiert, wäre der Konflikt da: Washington könnte dann ein US-Gesetz anwenden, das besagt, dass im Ausland festgenommene US-Soldaten notfalls mit militärischer Gewalt aus der Haft befreit werden dürfen. Peter Wilkitzki vom Berliner Justizministerium will zu dieser Möglichkeit nicht viel sagen. "Ich kann theoretisch nicht ausschließen, dass das unter die Buchstaben des amerikanischen Gesetzes fiele."

Flut von Klagen befürchtet

Weil nun jeder auf dieser Welt in Deutschland Anzeige erstatten kann, befürchtet das Bundesjustizministerium eine Flut von Strafanzeigen. Das würde die Kapazitäten deutscher Gerichte überfordern. "Wir können nicht Weltpolizisten und Weltgericht spielen, wir können nicht alle Straftaten in Somalia, Indonesien und Südamerika verfolgen", stellt Wilkitzki klar.

Deutsche Gerichte können ohnehin eine Anklage abweisen, wenn sich schon ein anderes Gericht, zum Beispiel der Internationale Strafgerichtshof, damit beschäftigt. Ist das aber nicht der Fall, dann muss Deutschland nur dann tätig werden, wenn der mutmaßliche Täter Deutscher ist oder sich der Anklagte in Deutschland aufhält.

Damit bleibt aber immer noch eine Vielzahl von Fällen, in denen ein deutscher Staatsanwalt Anklage erheben kann. Zu erwarten sind auch politisch brisante Fälle. "Politische Gesichtspunkte werden sicher eine Rolle spielen. Aber im Stadium der Entscheidung sollten wir unseren zuständigen Organen soviel zutrauen, dass sie sich da nicht von politischen sondern von juristischen Gesichtspunkten leiten lassen", hofft Wilkitzki auf eine juristisch einwandfreie Entscheidung über Annahme oder Ablehnung eines Verfahrens.