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Welche Konsequenzen hat die neue Erkenntnis für Menschen mit vermeintlicher Glutenunverträglichkeit?

15. Juli 2013

Welche Konsequenzen hat die neue Erkenntnis für Menschen mit vermeintlicher Glutenunverträglichkeit. Dazu ein Gespräch mit Dr. Reiner Ullrich, Gastroenterologe an der Charité Berlin.

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DW: Herr Ullrich, bilde ich mir das ein, oder gibt es derzeit tatsächlich viel mehr Menschen, die an einer Lebensmittelunverträglichkeit leiden, vor allem schlecht auf Gluten reagieren?

Reiner Ullrich: Ich denke, abgesehen von dieser Modeerscheinung gibt es einen ganz realen Hintergrund. Seit ungefähr 15 Jahren haben wir deutlich verbesserte und einfache Diagnosemethoden mittels eines Bluttests. Was dazu führt, dass es häufiger diagnostiziert wird.

Gibt es denn auch sonst einen Anstieg?

Es gibt weltweit sicherlich einen Anstieg, weil durch einen gesteigerten Verzehr von Getreideprodukten, beispielswiese in China, natürlich auch getreideassoziierte Erkrankungen in diesen Bevölkerungsgruppen zunehmen.

Weil die Chinesen in der Regel eigentlich mehr Reis essen?

Richtig.

Es gibt das ATI-Protein, dass auch zu Unverträglichkeiten und zu Darmerkrankungen führen kann. Dieses Protein wurde nachträglich in das Getreide hinein gekreuzt, um das Getreide resistenter gegen Schädlinge zu machen. Könnte man das denn nicht einfach wieder "heraus kreuzen"?

Ich denke, wenn sich die These bestätigt, dass es für Menschen tatsächlich schädlich ist, dann bleibt der Agrarindustrie gar nichts anderes übrig, als es wieder "heraus zu kreuzen" oder zumindest die Menge von ATI, die heutzutage in dem Getreide ist, zu reduzieren.

Da muss die Agrarlobby natürlich erst einmal mitspielen.

Das ist richtig.

Ein heikles Thema. Sie selbst leiten gerade eine Glutenstudie bei der Sie andere Testpersonen haben - nämlich Reizdarmpatienten. Sie untersuchen, ob auch diese Patienten auf Gluten reagieren. Warum machen Sie das?

Durch den vereinfachten Bluttest wissen wir, dass die Zöliakie nicht nur mit schweren Durchfällen und Gewichtsverlusten einher geht. Die Reaktionen auf Weizen und Gluten können deutlich variabler sein. Reizdarmpatienten leiden unter einer Vielzahl von diffusen Darmbeschwerden, ohne dass man eine Ursache dafür kennt. Deswegen haben wir uns gefragt, ob nicht auch ein Teil davon glutenempfindlich sein könnte. Das ist eine Frage, die wir jetzt gerade untersuchen.

Wie funktioniert Ihre Studie?

Die Studie funktioniert so, dass sich Reizdarmpatienten vier Monate lang glutenfrei ernähren müssen. Wir überprüfen dann, ob es tatsächlich zu einer deutlichen Verbesserung der Beschwerden kommt. Zusätzlich suchen wir noch nach einem diagnostischen Parameter, der es uns künftig erlauben soll, diese Patienten schon im Vorfeld besser zu identifizieren.

Sie sind in der Mitte der Studie - liegt es also am Gluten?

Ich würde sagen, dass es durchaus sein kann. Die Hinweise mehren sich, dass das Gluten auch eine Rolle spielt bei einem relevanten Anteil der Reizdarmpatienten.

Schauen wir nochmal in die Zukunft. Wir werden immer mehr Menschen auf diesem Planeten. Das bedeutet, dass unsere Agrarindustrie immer effizienter werden und wahrscheinlich mit immer mehr Hightech arbeiten muss. Wird es dann noch mehr Lebensmittelunverträglichkeiten geben?

Das kann ich mir durchaus vorstellen, weil es natürlich immer zu einer Abwägung kommen muss zwischen den Erträgen und den gesundheitlichen Interessen der Bevölkerung.