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Weltmacht USA - ein Nachruf

5. April 2003

Die Zeit der imperialen Herrschaft Amerikas ist vorbei. Die Welt ist zu groß, zu vielgestaltig. Meint Emmanuel Todd. Und: Die USA haben nicht mehr das Ziel, die Demokratie zu verbreiten.

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"Wenn Europa und Japan ihre jeweiligen Einflusssphären organisieren, würde Amerika als Zentrum der Welt überflüssig, und die Neudefinition der wirtschaftlichen Rolle der Vereinigten Staaten in einer solchen Konstellation dürfte einige Schwierigkeiten bereiten".

Indem sich Emmanuel Todd mit diesem Zitat auf den bekannten US-Wirtschaftswissenschaftler Robert Gilpin beruft, legt er den Finger in die erste große Wunde, an der die USA gegenwärtig leidet. Wirtschaftlich ist die frühere Supermacht USA mittlerweile viel stärker vom Rest der Welt abhängig als umgekehrt.

Wie aber ist eine Supermacht noch zu steuern, die wirtschaftlich abhängig und politisch überflüssig geworden ist? Zur politischen Überflüssigkeit, deren Ursachen im Wegfall der bipolaren Weltaufteilung und - paradoxerweise - im weltweiten Siegeszug der Demokratie zu suchen sind, gesellt sich faktisch auch die militärische.

Theatralischer Militarismus

Um ihre Allmacht zu demonstrieren, praktizieren die USA nur noch einen theatralischen Militarismus, der sich auf Kleinstmächte konzentriere wie Irak, Iran, Nordkorea, Kuba usw. Ein weiteres Merkmal des "theatralischen Militarismus" sei die Tatsache, dass ein Problem nie endgültig gelöst werde, da die einzig verbliebene Weltmacht nur so beliebige Militäraktionen rechtfertigen könne.

Die Modernisierungskrise, die die islamische Welt gerade durchlaufe, komme dem theatralischen Militarismus Washingtons sehr entgegen, ermöglicht sie doch den Mythos vom weltweiten Terrorismus.

"Die Rede vom weltweiten Terrorismus erlaubt den Vereinigten Staaten, sich als führende Nation in einem universellen 'Kreuzzug‘ neu zu definieren, nach Belieben überall punktuell und oberflächlich einzugreifen, wie auf den Philippinen und im Jemen geschehen, oder Stützpunkte in Usbekistan und Afghanistan zu errichten und Vorstöße nach Georgien und an die Grenze von Tschetschenien zu unternehmen. Doch wenn man sich den tatsächlichen Zustand der Welt anschaut, gibt es keinerlei soziologische und historische Rechtfertigung für die Rede vom weltweiten Terrorismus. Aus der Sicht der islamischen Welt ist diese Vorstellung absurd. Sie wird ihre Übergangskrise ohne Eingriff von außen überwinden und automatisch wieder zur Ruhe kommen. Die Rede vom weltweiten Terrorismus nützt nur den Vereinigen Staaten, weil sie eine durch den permanenten Kriegszustand in Atem gehaltene alte Welt brauchen."

Grenzen der Macht

Todds schärfste Waffe, um seine These vom unaufhaltsamen Niedergang der USA zu beweisen, sind jedoch die ökonomischen Tatsachen. Während am Vorabend der Weltwirtschaftskrise von 1929 44,5 Prozent der weltweiten Industrieproduktion auf die USA, 11,6 Prozent auf Deutschland und nur 2,4 Prozent auf Japan entfielen, liegen die USA 70 Jahre später knapp hinter der Europäischen Union und nur geringfügig vor Japan. Gleichzeitig hat in den 1980er und 90er Jahren eine dramatische Zuspitzung der Ungleichheit innerhalb der nordamerikanischen Gesellschaft stattgefunden mit einer relativen, manchmal auch absoluten, Verelendung der Arbeiter.

Der nicht zuletzt durch den Freihandel entstandene Druck auf die Arbeitseinkommen hat das traditionelle Dilemma des Kapitalismus reaktiviert: Es wird immer mehr produziert, aber den meisten Menschen fehlt das Geld, die Produkte zu kaufen. Das Wiedererstarken Russlands schließlich, das im Gegensatz zu den USA hinsichtlich der Ressourcen von niemandem abhängig ist, und die Emanzipation Europas werden schon bald die Grenzen der bisherigen Weltmacht USA aufzeigen.

Rezension: Norbert Ahrens

Bibliografische Angaben:
Emmanuel Todd
Weltmacht USA - ein Nachruf
Piper, 2003
3-492-04535-9
13.00 Euro