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Wen würde Prodi wählen?

Alexander Kudascheff, Brüssel19. August 2002

Zur Bundestagswahl hat jeder Politiker eine Meinung. Fast jeder. Denn die EU-Kommissare in Brüssel haben sich selbst offiziell eine Schweigepflicht zu diesem Thema verordnet. Aber natürlich haben auch sie ihre Vorlieben.

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Wie informiert sich der EU-Kommisionschef über die Bundestagswahl?Bild: AP

Es gehört zum guten Ton in Brüssel, es gehört zum Stilempfinden, zum diplomatischen fair play der Europäer: Innenpolitische Vorgänge, Ministerwechsel, Wahlkämpfe oder gar Wahlen - bis hin zu den Ergebnissen - werden nicht kommentiert. Man nimmt sie zur Kenntnis, auch wenn man durchaus ahnt, dass ein Kommissar wie Neil Kinnock, der aus der Labour-Partei stammt, sich sicher einen anderen Wahlausgang in Deutschland wünscht als die konservative Spanierin Palacio.

Aber nach außen hin gilt der diplomatische Komment: Es wird sich nicht eingemischt, aber es wird natürlich genau hingeschaut. Und da an der Tafel der 20 Kommissare eine Menge Expertenwissen versammelt ist, wird sich EU-Kommissionschef Romano Prodi, der glücklose Präsident aus Italien sicher von Günter Verheugen oder Michaele Schreyer die Geheimnisse des deutschen Wahlkampfs erklären lassen.

Prodi der Profi

Welche Sympathien Prodi hat? Man wird es nicht erfahren, denn Prodi ist lange genug im politischen Geschäft, um eine Grundregel zu beherzigen: Man muss mit jedem Kanzler auskommen – genau wie mit jedem französischen Präsidenten und italienischen oder dänischen Premier.

Europa hat sich in den letzten gut drei Jahren nachhaltig geändert. 1999 regierten in elf von fünfzehn Ländern Sozialdemokraten und träumten von der Renaissance der europäischen Sozialdemokratie. Persson, Rasmussen, Amato, Schröder, Blair, Jospin, Guterres, Kok und andere - sie repräsentierten im Einklang mit Bill Clinton den neuen, charmanten Typ des aufgeklärten, sozial eingestellten und doch wirtschaftlich reformbereiten Linken.

Nur keine Aufregung

Davon redet heute niemand mehr. Nun haben die Konservativen das Sagen - in Dänemark, in Frankreich, in Spanien, in Portugal, in Italien, Luxemburg, Holland und Irland. Das Gesicht, das politische Profil Europas wandelt sich - aber nicht so dramatisch, dass die Berufseuropäer sich aufregen müssten. Und selbst der Triumphzug bürgerlicher Protestparteien regt nicht auf, sondern wird in demokratischer Gelassenheit und Geduld hingenommen.

Man muss mit Protest leben - dem der Globalisierungsgegner wie dem von Pim Fortuyn. Und so wird auch ruhig nach Deutschland gesehen. Kann Schröder sich im Amt halten? Muss man sich auf einen neuen Außenminister einstellen? Wer wird Wirtschafts-, Finanz-, Agrarminister? Gibt es dramatische Akzentverschiebungen?

Keine lauten Töne

Aber auch da winken die abgebrühten Berufseuropäer ab. Selbst Berlusconi, der keinen Stein auf dem anderen lassen wollte, fällt weder als Außenminister noch als Premier durch Eskapaden auf - sieht man von seinem Hang zur medialen Gestik und zum medialen Pathos ab. Also: Über die deutsche Wahl, die Wahl der Deutschen wird nicht geredet - jedenfalls nicht laut.

Dafür wird umso heftiger auf dem Parkett der Empfänge gesprochen, getuschelt, spekuliert. Wie wirkt sich die Flutkatastrophe auf die Wahlchancen aus? Kann sich Stoiber nur noch selbst zu Fall bringen? Was wird aus den Wendekommunisten ohne Gysi? Wie stabil sind die Grünen? Was kann Fischer bewegen - auch ohne Bonusmeilen? Und wie weit bleiben die Liberalen unter ihren selbst proklamierten 18 Prozent? Das wird von allen Seiten beleuchtet - und von ein paar Scharfmachern abgesehen - heißt das Brüsseler Fazit: Es kommt, wie es kommt. Kommt es anders, wird man damit genau so leben wie wenn alles so bleibt wie bisher.