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Wende zum Wohlfahrtsstaat?

28. Mai 2002

– Das neue Programm der ungarischen Regierung

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Budapest, 28.5.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Dénes Vajta

Obwohl seine Existenz von der noch regierenden Koalition oft bestritten wurde, legte die neue Regierung am 21. Mai im Parlament ein hundertzehnseitiges Programm der Konsolidierung vor, das durchaus als ausgewogen bezeichnet werden kann. Vorausgesetzt, dass das Versprechen "handeln jetzt und im Interesse aller" auch befolgt wird.

Das Medgyessy-Programm oder wie die künftige Regierung es bezeichnet, "das Programm der nationalen Mitte, der Regierung der demokratischen Koalition", setzt sich im wesentlichen drei Ziele, eine Wende zur Wohlstandsgesellschaft, gepaart mit Demokratisierung und Modernisierung. Das aus acht Teilen bestehende Dokument erörtert ausführlich die Ziele der neuen Wirtschaftspolitik, ohne aber die Quellen für die hehren Ziele näher zu bezeichnen. Das haben auch die meisten Kritiker an dem Programm auszusetzen.

Die neue Regierung will nur mit "helfender, ergänzender" Arbeit am Wirtschaftsleben teilnehmen und somit den "Zwillingsbruder des Wohlfahrtsstaates, den Chancen schaffenden, Chancen ausgleichenden Staat" verwirklichen. Das klingt nach dem neoliberalen Nachtwächterstaat, der auch in Westeuropa nur in Zeiten der Konjunktur funktioniert, unter den rauen Bedingungen der osteuropäischen Wirklichkeit jedoch leicht scheitern kann.

Rasch erkennen das auch die Autoren des Regierungsprogramms, da sie die Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen gleich danach in ihr Credo aufnehmen. Allerdings ohne diese zu "passiven Ausgehaltenen" zu machen, wird verschämt bemerkt.

Gleichzeitig werde die Regierung die ausländischen Investitionen unterstützen, da Ungarn Kapital und Spitzentechnologie brauche, und weil "die Anwesenheit der multinationalen Unternehmen ein Stabilitätsfaktor für die ungarische Wirtschaft" sei.

An mehreren Stellen des Programms wird ein entschlossener Kampf gegen die Korruption versprochen. Auch der Rest der noch in staatlichem Besitz befindlichen Wirtschaft dürfe nicht zum Mittel der politischen Machtausübung und zur Belohnung von Parteiaktivisten missbraucht werden. Das Leben der Bevölkerung soll durch beträchtliche Gehaltserhöhungen und sonstige Zuwendungen erleichtert werden.

Soweit die manchmal nicht deckungsgleichen, aber hehren Absichten für die Wirtschaft. Die anderen Hauptziele des Programms, die der Demokratisierung und Modernisierung enthalten diesmal wirklich überraschend radikale Vorstellungen. So zum Beispiel die Absicht der Regierung, mehrere zehntausend zivile Organisationen in den Beitrittsprozess zur EU und sogar in die legislative Arbeit einzuschalten. Dem Dokument zufolge werden die geplanten Gesetze auch im Internet abrufbar sein, und die Regierung wird mit jedem Verein und Verband Verbindung aufnehmen, der Vorschläge hat.

Neu ist hier die Erkenntnis der Wichtigkeit des Dialogs mit der Gesellschaft, der, wenn er Wirklichkeit wird, große Energien freisetzen und der Regierung viele Sympathien zuführen kann.

Die neue Regierung führte ihren Wahlkampf im Zeichen der nationalen Versöhnung zwischen den zwei feindlichen Lagern. Die Versprechen des Wahlkampfes werden aber - wie die meisten Kritiker betonen - angesichts des belasteten Budgets nur schwer zu halten sein. Eine nach allen Zeichen kämpferische Opposition könnte dann leicht chaotische Zustände herbeiführen.

Die Erhaltung des gesellschaftlichen Friedens hängt nicht nur von der Erfüllung der akutesten materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung ab, sondern von der Förderung einer unternehmensfreundlichen Atmosphäre, in der kreative Menschen Verwirklichung finden können. In einem Land, wo es an letzteren nicht mangelt und wo die Rolle des Wissens für die Wirtschaft von jedem betont wird, hätte die Förderung der mittelständischen Unternehmen einen breiteren und konkreteren Raum erhalten müssen. Auch die multinationalen Unternehmen wären besser verankert in einem Land, wo die Mittelständler mit ihnen stärker verflochten sind.

Außerdem sind es - besonders nach dem EU-Beitritt - weniger multinationale Unternehmen, die hier Entwicklungsmöglichkeiten suchen werden, sondern mittelständische Betriebe. Sie wären auch geeigneter, um die regionale Zusammenarbeit zu stärken. Es ist zwar eine riskante Aufgabe, aber die neue Regierung mit ihren vielen guten Vorsätzen sollte vor anderen chancenreichen Aufgaben auch nicht zurückschrecken. Dann erst werden auch Anhänger der Opposition erkennen, dass die Zukunft nicht ins Stolpern geraten ist, sondern dass sie tatsächlich begonnen hat. (fp)