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Wenig Grund, stolz zu sein

28. Juni 2002

- Polnische Generäle müssen noch auf Anerkennung warten

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Warschau, 27.06.2002, NEWSWEEK POLSKA, poln.

(...) In den Staaten, in denen die militärische Tradition von politischen Umbrüchen nicht unterbrochen wurde, wird die Uniform eines Generals oft von Generation zu Generation vererbt und ihre Besitzer gehören zu einer besonderen aristokratischen Kaste.

Als General Edward Pietrzyk vor fünf Jahren zum stellvertretenden Kommandanten eines internationalen Kontingents in Stettin befördert wurde, hat er zehn Mal weniger verdient als sein deutscher Kollege von der Bundeswehr und wesentlich weniger als sein persönlicher Adjutant aus Dänemark. Die polnischen Generäle leiden zwar keine Armut, aber sie leben auch nicht in Saus und Braust.

Sie verdienen etwas besser als ein durchschnittlicher Pole, d.h. ihr Nettoverdienst liegt bei fünf bis acht tausend Zloty (etwa 1 400 bis 2 230 Euro). Aber von den finanziellen Eliten Polens sind sie meilenweit entfernt. Sie fahren einige Jahre alte Wagen der Marke Opel oder Toyota, und anstelle einer Villa in Florida haben sie Schrebergärten. Statt auf ihren eigenen Privatjachten zu segeln, pflanzen sie in ihrer Freizeit Karotten und Tomaten. Sie wohnen in den typischen grauen Wohnblocks.

In Polen gibt es zur Zeit 103 Generäle. Der älteste von ihnen ist 59 und der jüngste 47 Jahre alt. Zum General wurden sie in der Republik Polen befördert, aber sie hatten sich noch in der Volksrepublik Polen für die Kariere beim Militär entschieden. 40 von ihnen wurden an den sowjetischen Militärhochschulen ausgebildet. Das ist eine Generation im Zwiespalt. Keine Berufsgruppe wurde nach 1989 mit solchen Änderungen der Weltanschauung konfrontiert. Um beim Militär bleiben zu dürfen, mussten sie ihre alten Gewohnheiten aus der Zeit des Warschauer Pakts gegen die NATO-Ambitionen austauschen. Sie haben nächtelang englisch gepaukt, sind zu Computerkursen gegangen und vor allem mussten sie lernen, selbständig zu denken.

General Wlodzimierz Zielinski (...) meint, dass sich der gegenwärtige General nicht nur für die Werke von Clausewitz und Toffler interessiert. Das Beispiel hierzu liefert der älteste polnische General, Boleslaw Balcerowicz, der Hegel und andere Philosophen liest.

Die Offiziere im neuen Polen können Stolz auf die polnische Armee sein, in der sie jetzt dienen. Nicht viel Grund, stolz zu sein, bietet ihnen ihr eigenes Leben. Sie haben in den letzten Jahren viel verloren. Ihnen stehen auch keine solchen Privilegien zu, die ihre Vorgänger im Kommunismus genossen hatten, wie hohes Einkommen, große Wohnungen, Zuteilungen von Wagen und Zugang zu den auf dem Markt unerschwinglichen Lebensmitteln. Vor allem aber vermissen sie das angenehme Kribbeln im Magen, wenn die Nachbarn den Kindern zuflüsterten: "Das ist ein General."

Ein polnischer General verdient weder soviel Geld noch genießt er solch ein Ansehen wie seine Kollegen im Westen. Da die Generalskarriere nicht von langer Dauer ist, wird er auch wahrscheinlich diese Zeit nicht mehr genießen können. Die Früchte seiner Arbeit wird erst die nächste Generation ernten können. (Sta)