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Wenig Nachwuchs beim Bund der Vertriebenen

Danuta Szarek2. September 2006

Der Bund der Vertriebenen feiert den "Tag der Heimat". Aber wer wird ihn begehen, wenn die ältere Generation ausstirbt? Trotz Freizeitprogramm und Dialogpolitik finden die BdV-Jugendverbände kaum neue Mitglieder.

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Zwei junge Männer am traditionellen Sudetendeutschen Tag in Augsburg im Mai 2005Bild: AP

Im Geschichtsunterricht fiel Jochen Zauner eines Tages auf, dass etwas fehlte: Auf das Kapitel "Ende des Zweiten Weltkriegs 1945" folgte im Geschichtsbuch gleich das Jahr 1949. "Was ist denn mit den vier Jahren dazwischen?", fragte er daraufhin seinen Lehrer. Dessen Antwort: "Dazwischen ist doch nichts passiert."

Dieses Erlebnis sei für ihn der Anstoß gewesen, sich näher mit dem Thema Vertreibung zu befassen, sagt Jochen Zauner. Er ist heute 25 und Bundesvorsitzender des Bundes Junges Ostpreußen (BJO), der Jugendorganisation der Landsmannschaft Ostpreußen. Sie ist eine von zehn Mitgliedern in der Arbeitsgemeinschaft "Junge Generation" im Bund der Vertriebenen (BdV). Die BJO habe derzeit etwa 600 Mitglieder, davon ein Drittel im ehemaligen südlichen Ostpreußen, schätzt Zauner.

"Mehrere Zehntausend" in BdV-Jugendarbeit aktiv

Damit ist der BJO eine der kleineren BdV-Jugendorganisationen - die "Sudetendeutsche Jugend" etwa schätzt die Zahl ihrer Mitglieder laut Bundesvorsitzendem Robert Wild auf rund 5000 bis 7000, bei der "Schlesischen Jugend" geht Bundesvorsitzender Adam Stein von bundesweit 5000 Mitgliedern aus - ebenfalls grob geschätzt.

Genaue Zahlen sind deshalb schwer zu ermitteln, weil es innerhalb der Jugendverbände des BdV viele regionale, selbständige Unterteilungen gibt - bis hin zu Kindergruppen auf Ortsebene. "Insgesamt sind bundesweit mehrere Zehntausend in der Jugendarbeit aktiv", kann Oliver Dix deshalb auch nur grob sagen. Er ist Präsidiumsmitglied im Bund der Vertriebenen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft "Junge Generation", die seit 1991 als Zusammenschluss der Jugendverbände des BdV besteht.

Die "Junge Generation" bietet für 18- bis 35-Jährige laut Dix zum Beispiel mehrtägige Kongresse - wie etwa Veranstaltungen zum deutsch-polnischen Verhältnis oder zu tschechischer Landeskunde. Darüber hinaus gebe es Wochenendseminare mit Vortragsveranstaltungen, und dann noch die kulturellen Veranstaltungen der regionalen Gruppen vor Ort. Im Sinne eines internationalen Jugenddialogs seien dabei stets auch junge Vertreter aus dem Ausland mit eingeladen, betont Oliver Dix.

Nüchterne Prognosen in den Jugendverbänden

Sudetendeutsche werden aus Tschechoslowakei vertrieben
Sudetendeutsche bei ihrer Vertreibung aus der TschechoslowakeiBild: AP

"Wir wollen Gespräche anbieten", beschreibt er das Ziel der Jugendarbeit. Er habe den Eindruck, "dass junge Leute in letzter Zeit verstärkt nach dem Woher und Wohin der eigenen Familie fragen - und dabei häufig auf Vertreibungsschicksale stoßen". Genaue Zahlen über den Mitgliederzuwachs, den er im Laufe der vergangenen Jahre beobachtet habe, kann Oliver Dix mit Hinweis auf die lose Struktur der Jugendarbeit nicht nennen. "Aber noch ist die Lage für die Zukunft der Jugendverbände und damit für den BdV sehr günstig."

In den Jugendverbänden selbst fallen die Zukunftsprognosen jedoch nicht so positiv aus: Seit rund fünf Jahren stagniere die Mitgliederzahl bei der "Sudetendeutschen Jugend", sagt ihr Bundesvorsitzender Robert Wild. "Der direkte Bezug zum Thema Vertreibung ist in der dritten Generation nicht mehr so vorhanden wie noch bei der zweiten Generation, die jetzt aus der Alterklasse der 'Jungen' heraus ist", sagt er.

Nur ein kleiner Teil der Mitglieder, die zu alt für den Jugendverband geworden sind, trete anschließend in die Landsmannschaften des BdV ein. Das liege vor allem am krassen Alterssprung - und daran, dass das Angebot der "Erwachsenengeneration" oftmals in seiner Form nicht attraktiv genug für die Jugend sei.

Unterschiedliche Diskussionsthemen bei Alt und Jung

Und dann gibt es nach Wilds Auffassung gelegentlich noch die unterschiedlichen Ansätze in der inhaltlichen Diskussion: "Junge Leute sprechen zum Beispiel weniger über die Rückgabe von Eigentum, während das vor allem für die Erlebnisgeneration teilweise noch immer Thema ist." Auch in der Kulturarbeit gingen die Erwartungen junger und älterer Mitglieder an den Bund der Vertriebenen manchmal auseinander: "Die Jugend ist stärker auch an anderen Kulturen interessiert. Ältere fragen sich da ab und zu, was das mit Deutschland zu tun habe und warum man sich nicht lieber etwa mit der Geschichte des Sudetenlandes beschäftigt."

Ein verstärktes Interesse am Thema Vertreibung von Seiten junger Leute hat zwar auch Robert Wild bemerkt: "Es gibt viele Anfragen nach Informationen und Fakten - ob für Recherchen im Studium oder aus persönlichem Hintergrund." Den altersbedingten Rückgang der Mitgliederzahlen im Bund der Vertriebenen könne das aber sicherlich nicht ausgleichen, sagt Robert Wild. "Aber ich denke, dass die jungen Leute, die sich jetzt für das Thema Vertreibung interessieren, sich auch in Zukunft dafür interessieren werden - und dass sie so engagiert arbeiten, dass die Arbeit des BdV auch in Zukunft geleistet werden kann."

Das hofft auch Jochen Zauner vom "Bund junger Ostpreußen". Gleichzeitig räumt er aber ein, dass der BJO seit seiner Gründung im Jahr 2000 mit 590 Leuten nur etwa zehn Mitglieder neu aufgenommen habe. "Das ist nicht besonders viel." Immerhin habe die Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibungen sowie die Berliner Ausstellung "Erzwungene Wege" das "Thema nach vielen Jahren wieder in die Gesellschaft hineingetragen".

"Thema früher völlig marginalisiert"

Vertriebene Sudetendeutsche
Neue junge Mitglieder zu finden, ist für die BdV-Verbände schwerBild: AP

Aber wie nun verhindern, dass es langfristig vor allem unter jungen Leuten wieder aus dem Bewusstsein verschwindet? "Wir können nur versuchen, Hintergrundwissen zu vermitteln, um überhaupt Grundlage für ein Interesse der Leute zu schaffen - nachdem das Thema bis vor einigen Jahren ja noch völlig marginalisiert wurde", sagt der 25-Jährige.

Er glaubt auch, dass viele junge Leute sich davor scheuen, sich in der Jugendarbeit des BdV zu engagieren, weil sie befürchten, als Nationalisten betitelt zu werden. "Da lassen sie es lieber gleich bleiben." Tatsächlich habe sich der Bund Junger Ostpreußen im Jahr 2000 eben deshalb neu gegründet, weil die Vorgängerorganisation von Rechtsradikalen unterwandert worden sei. Damit hätten die meisten damaligen Mitglieder nichts zu tun haben wollen und seien zur BJO gewechselt, erzählt der 25-jährige. "Die Vorwürfe gibt es aber heute auch noch manchmal."

Als Bundesvorsitzender der BJO will sich Jochen Zauner entgegen aller Anfeindungen weiter dafür einsetzen, "dass das geschichtliche Erbe in der Bevölkerung wach gehalten wird" - ob durch kulturelle Angebote wie Sportfeste, Zeltlager und Feten oder die politische Diskussion in Seminaren und Kongressen. Denn dass es für die Vertriebenenverbände langfristig schwierig wird, bestehen zu bleiben, da ist sich Zauner sicher: "Ich habe das Gefühl, viele hoffen auf eine 'biologische Lösung' - man wartet einfach, bis wir weg sind."