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Wenig Neues in US-Außenpolitik

Rodion Ebbighausen22. März 2016

Die ganze Welt schaut auf den Vorwahlkampf in den USA. Doch Kritiker glauben nicht, dass ein neuer Präsident die außenpolitische Linie ändern wird. Das politische Establishment in Washington setzt auf Status quo.

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Flottenverband der USA mit großer US-amerikanischer Flagge
Bild: cc-by-U.S. Navy

Kein anderes Land hat weltpolitisch mehr Gewicht als die Vereinigten Staaten von Amerika. Nach dem 11. September 2001 haben die USA etwa in Afghanistan und im Irak eine interventionistische Außenpolitik verfolgt und es spricht vieles dafür, dass sich diese Politik auch nach den Wahlen fortsetzen wird. Zu diesem Urteil kommt zumindest der Politologe John J. Mearsheimer von der Universität Chicago. "Wenn man sich die Präsidentschaftskandidaten so anhört, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie nichts gelernt haben. Sie sprechen genau so über eine Intervention im Mittleren Osten, wie schon George W. Bush darüber gesprochen hat. Obwohl man nach all diesen Katastrophen doch erwarten müsste, dass sie etwas gelernt haben."

Dass sie nichts gelernt haben, liege unter anderem daran, dass es in Regierungskreisen an alternativen Ideen zur Gestaltung der Außenpolitik fehlt, sagt Mearsheimer. Schuld daran ist eine problematische Verzahnung von Regierung und privaten Organisationen, sogenannten Think Tanks. Think Tanks haben ihren Platz irgendwo zwischen der akademischen Welt der Universitäten und der politischen Welt der Parlamente. Sie werden von privaten Spendern, Stiftungen und Firmen finanziert. Insbesondere in der Außenpolitik entfalten sie ihren Einfluss. Tom Medvetz, Soziologe von der Universität Kalifornien, der Think Tanks in seinem jüngsten Buch "Think Tanks in America" erforscht hat, ist sicher: "Verglichen mit anderen Politikfeldern ist der Einfluss von Think Tanks in der Außenpolitik sehr groß." Dennoch wissen selbst politisch interessierten Menschen in den USA und im Ausland nur wenig über diese Institutionen, die indirekt Einfluss auf das internationale politische Geschehen haben.

Vom Berater zum Akteur

Denkfabriken sind eine US-amerikanische Innovation. Die weltweite erste, die Brookings Institution in Washington, öffnete 1916 ihre Pforten. Die Ideenschmieden der ersten Generation verstanden sich selbst als "Universitäten ohne Studenten", wie der ehemalige stellvertretende US-Gesundheitsminister und Direktor der amerikanischen Denkfabrik "Institut für Gesundheitspolitik" Tevi Troy in einem Essay für die Zeitschrift National Affairs schreibt. Bis Ende des Zweiten Weltkriegs ähnelten Think Tanks in erster Linie akademischen Forschungseinrichtungen, die technische Lösungen zu Fragestellungen der aktiven Regierungspolitik beitrugen. So erforschte Brookings die Ursachen der US-Wirtschaftskrise in den 30er Jahren und lieferte damit das wissenschaftliche Fundament für Präsident Roosevelts Wirtschaftspolitik.

Fassade der Brookings Institution in Washington DC
Hauptgebäude der Brookings Institution in Washington DCBild: Public Domain

Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Think Tanks begannen vermehrt, Lobbyarbeit für bestimmte politische Projekte zu betreiben. Besonders erfolgreich war beispielsweise die 1973 gegründete Heritage Foundation. Sie veröffentlichte das Buch "Mandate for Leadership", das rund 2000 politische Empfehlungen für eine konservative Politik enthielt. Es war, wie David Von Drehle von der Washington Post es ausdrückt, die "Bibel der Reagan-Revolution", womit die konservative Ausrichtung und die harte Haltung der USA gegenüber der Sowjetunion bezeichnet wurde. Am Ende von Reagans Regierungszeit waren fast zwei Drittel der im Buch formulierten Vorschläge umgesetzt.

Doch nicht nur Konservative ventilieren und implementieren ihre Ideen mit Hilfe von Think Tanks. Die Demokraten gründeten Anfang der 80er Jahre den Democratic Leadership Council, der später das Progressive Policy Institut (PPI) hervorbrachte. Das PPI war während Präsident Clintons Amtszeit, ebenfalls laut Washington Post, sein wichtigster Ideengeber.

Die Entwicklung der Think Tanks in den USA bis Ende der 1990er Jahre fasst Tevi Troy wie folgt zusammen: "Ende der 1990er hatten sich Think Tanks von ihrem Ursprung als 'Universitäten ohne Studenten' weit entfernt. Nicht mehr beschränkt auf die neutrale Rolle des unparteiischen Ideengebers, versuchten diese Institutionen, die politische Diskussion aktiv zu beeinflussen - ein Trend, der sich seither noch verstärkt hat."

Drehtür-Effekt

Dabei kommt vor allem ein spezieller Drehtür-Effekt zum Tragen. Wenn in Washington die Regierungspartei wechselt, sind auf einen Schlag eine große Zahl von Regierungsmitarbeitern ihren Job los. Um den Mitarbeitern eine berufliche Perspektive zu bieten und sie im Zweifelsfall bei einer erneut gewonnenen Wahl schnell und problemlos wieder rekrutieren zu können, werden sie in einem der eigenen Parteilinie nahestehenden Think Tank eingegliedert. Das gilt insbesondere für Experten in der Außenpolitik. "Das außenpolitische Personal der USA gedeiht in einem Netzwerk von Organisationen, das von der Regierung in Washington bis zur Welt der Wohltätigkeitsorganisationen und den privaten Think Tanks reicht." Mearsheimer formuliert das schärfer: "Es gibt eine inzestuöse Beziehung zwischen der Politik und der Welt der Think Tanks."

Infografik der Zahl der Think Tanks
Die Zahl der Think Tanks wächst weltweit seit den 1990er Jahren rasant. Doch nirgendwo gibt es mehr als in den USA

Dabei bestehen zwei Kreisläufe, nämlich einmal ein republikanischer und ein demokratischer, die sich allerdings mit Blick auf die Außenpolitik nicht wesentlich unterscheiden, wie Mearsheimer feststellt. Große Teile des außenpolitischen Establishments beider Parteien sind nach Mearsheimer von Madeleine Albrights Diktum überzeugt: "Wir sind die unverzichtbare Nation. Denn wir besitzen die Stärke und sehen weiter als andere Länder in die Zukunft."

Wie fatal dieses Selbstbild und der Drehtür-Effekt sein kann, zeigt der zweite Irakkrieg. Im März 2003 marschierte die "Koalition der Willigen" unter Führung von George W. Bush völkerrechtswidrig im Irak ein. Die Blaupause für die Invasion hatte der Think Tank Project for the New American Century geliefert, in dem Neokonservative wie Dick Cheney und Donald Rumsfeld Mitglied waren, die später hohe Ämter in der Bush-Administration bekleideten (Cheney wurde Vizepräsident, Rumsfeld Verteidigungsminister).

Unabhängig, überparteilich, objektiv?

Viele Think Tanks, deren wichtigste Währung ihre Glaubwürdigkeit ist, verwehren sich gegen den Vorwurf der Parteilichkeit. Sie veröffentlichen auf ihren Webseiten regelmäßig ethische Richtlinien und Rechenschaftsberichte, in denen sie ihre Unabhängigkeit, Überparteilichkeit und Objektivität betonen.

Mearsheimer sieht das kritisch. Von ihrer Konstruktion her sei das nur schwer zu glauben: "Das Hauptproblem ist, dass Think Tanks keine unabhängige Forschung betreiben." Auch Medvetz betont: "Fast alle Diskussionen in Think Tanks unterliegen den Regeln aktueller politischer Debatten. Sie werden unter wahl- und parteipolitischen Erwägungen geführt und sind eingeschränkt von ideologischen Festlegungen, Erwartungen der Spender sowie eigenen politischen Ambitionen."

Hillary Clinton bei einer TV Debatte
Hillary Clinton will für die Demokraten ins Weiße HausBild: Reuters/L. Nicholson

Status quo als oberstes Ziel

Amerikanische Think Tanks waren und sind sehr erfolgreich darin, sich in der Nische zwischen Politik und Wissenschaft zu etablieren. Sie haben demzufolge auch wenig Interesse daran, das funktionierende Geschäftsmodell zu ändern. "In den USA gibt es eine Unzahl von Think Tanks und sie haben einen enormen Einfluss, wenn es darum geht, den Status quo aufrechtzuerhalten", sagt Mearsheimer. Sie seien nicht nur überzeugt davon, unentbehrlich zu sein, sie formulierten auch immer die gleichen Antworten: Die USA sollen überall auf der Welt intervenieren. "Sie sind versessen auf Interventionen hier und da und überall. Und sie haben kein Interesse daran, sich zurückzuziehen und die US-amerikanische Außenpolitik sinnvoll zu beschränken", so das kritische Fazit Mearsheimers.

Daran werden nach Mearsheimers Ansicht auch die US-Wahlen im November nichts ändern. Aus seiner Sicht fehlt allen Kandidaten das nötige Format für das Präsidentenamt. Trump würde vielleicht einen anderen außenpolitischen Kurs einschlagen, aber ob er ihn gegen das Establishment durchsetzen könnte, da ist Mearsheimer skeptisch. Clinton und Cruz hält er für Falken, die Strategien befürworten, die im Irak oder in Afghanistan bereits fehlgeschlagen seien.