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Wenn der Staat den Telefonsex zahlt

Kay-Alexander Scholz, Berlin3. März 2016

Der Fall Beck ist nur das jüngste Beispiel für einen Rücktritt. Andere mogelten bei der Doktorarbeit, hatten die falschen Amigos oder schäkerten auf Landtagskosten. Politiker und ihr Karriereende - ein Überblick.

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Volker Beck / Grüne
Bild: picture-alliance/dpa

Wann müssen Politiker zurücktreten? Stolperfallen gibt es viele. Denn das Leben eines Spitzenpolitikers ruft - erstens - immer auch Neider und Konkurrenten aus den eigenen Reihen auf den Plan. Und - zweitens - geht es um öffentliche Ämter, die den Gesetzen der jeweiligen gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen genügen sollen. Wobei damit sowohl offizielle, als auch inoffizielle Gesetze gemeint sind.

Die beiden Autoren Pascal Beucker und Frank Überall haben in dem sehr aufschlussreichen Buch "Endstation Rücktritt" eine Phänomenologie des Politiker-Rücktritts entworfen und viele Beispiele aus der bundesrepublikanischen Geschichte seit 1949 gesammelt.

Freiwillig oder nicht?

Grob lässt sich ihre Einteilung in freiwillige und unfreiwillige Rücktritten unterscheiden. Zur ersten Gruppe gehören "Die Aufrechten" oder "Wenn die eigene Überzeugung zum Karrierehindernis wird". Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist ein Beispiel hierfür. Sie trat zurück, weil sie als Liberale gegen eine Verschärfung der Überwachung der Bürger, den "Großen Lauschangriff", war.

Eine andere Untergruppe sind die "Verantwortlichen" oder "Wenn das Versagen anderer zum eigenen Abtritt führt". Der Rücktritt Willy Brandts (SPD), nachdem in seinem engsten Mitarbeiterkreis ein DDR-Spion aufgeflogen war, ist das Parade-Beispiel hierfür.

Verlockungen des Geldes haben dagegen schon zu einer ganzen Reihe unfreiwilliger Rücktritte geführt - und zwar quer durch alle Parteien. Gregor Gysi (Linkspartei) und Cem Özdemir (Grüne) ließen sich dienstlich angesammelte Bonusmeilen von Fluggesellschaften für Privatflüge gutschreiben. Lothar Späth (CDU) hat sich dutzende Dienstreisen von Firmen bezahlen lassen. Reinhard Klimmt (SPD) unterschrieb fragwürdige Sponsoring-Verträge für einen Fußballverein. Max Streibl (CSU) stolperte über falsche "Amigos" in der Wirtschaft und fremd finanzierte Privaturlaube.

Selbst Bundespräsidenten sind nicht gefeit vor solchen Verfehlungen. So musste Christian Wulff im Februar 2012 nach nicht einmal 20 Monaten im Amt zurücktreten, weil die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Vorteilnahme ermittelte. Monatelang war die "Causa Wulff" Topthema in deutschen Medien.

"Investigatives" Internet?

Journalisten können Politiker eigentlich nicht stürzen, sie transportieren höchstens die Munition für einen, schreiben die beiden Autoren Beucker und Überall. Der Fall Wulff war insofern ein Sonderfall, weil der Mediendruck so groß wurde, dass es zum Rücktritt kam, obwohl noch gar nichts bewiesen war. Entsprechend groß war auch die folgende Kritik an einem übertriebenen Jagdtrieb der Medien.

Das Medium Internet schaffte eine neue Qualität bei der Aufklärung von Skandal-Geschichten. "VroniPlag" sorgte dafür, dass Politiker mit einem akademischen Titel in die Schusslinie gerieten. Seit 2011 durchsucht der Webanbieter Dissertationen auf ihren Anteil von nicht gekennzeichneten Copy-und-Paste-Passagen.

Prominentestes Beispiel ist der "falsche Doktor" Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Auch die FDP-Politiker Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis mussten aus demselben Grund auf ihrer politischen Laufbahn einen Zwangsstopp einlegen.

Das Medium Internet war also nicht nur, wie bei anderen Medien üblich, Aufdecker und Begleiter eines Skandals, sondern wurde zur Skandal-Software - ohne dessen Hilfe ein Nachweis des Skandals eher unwahrscheinlich gewesen wäre.

Telefonsex und Liebesaffären

Internet und andere Kommunikationstechnik sind für Politiker ganz generell eine potentielle Stolperstelle, besonders wenn dabei gegen Gesetze verstoßen wird. Der CSU-Politiker Hans Wallner stolperte über Telefonsex im Landtag - die Hotline kostete den Steuerzahler eine fünfstellige Summe. Der SPD-Politiker Sebastian Edathy schaute sich kinderpornografische Bilder auf seinem Dienst-Laptop über den Server des Bundestages an. Der Staatsanwalt musste ermitteln.

Auch sonst wird das Privatleben von Politikern scharf beäugt. Als moralisch fragwürdig gelten Liebesaffären. Doch während die Geliebte von Horst Seehofer (CSU) in Berlin toleriert wurde, wurde Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) ein Bad mit seiner Lebensgefährtin in einem Pool auf Mallorca zum Verhängnis.

Ausweg Drogen?

Und nun Volker Beck. Er wurde nach dem Kauf von Drogen, und zwar dem "Teufelszeug" Crystal Meth, gefasst. Bevor der mediale Spießrutenlauf richtig beginnen konnte, zog er sich von seinen politischen Ämtern zurück.

Der SPD-Politiker Michael Hartmann hatte zuvor Ähnliches erlebt, ist inzwischen aber rehabilitiert und zurück in der Politik. Er ging ganz offensiv mit seinem Drogenkonsum um, redete über seine Lebenskrise.

Das moderne Leben macht das Leben für Politiker nicht unbedingt einfacher. Das Internet trotz aller Segnungen verschärft den ohnehin enormen Aufmerksamkeitsdruck. Das Handy ist nun einmal keine Sekretärin, die eingehende Anrufe filtert. Diskutiert wird im politischen Berlin durchaus die Frage, ob dieses Leben Drogenkonsum fördere.

Anders als in den Jahrzehnten zuvor ist auch: Es gibt wohl kaum noch die klassische Politiker-Gattin, die dem gestressten Mandatsträger frisch gewaschene Hemden und emotionalen Ausgleich bieten kann.