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Wenn die Demokraten dreimal klingeln

Stephan Bachenheimer14. Oktober 2004

Titelinhaber George W. Bush hat Narben davongetragen, nicht nur Kratzer. Comeback-Kerry hat auch die dritte Fernsehduell-Runde klar für sich entschieden. Und die Wetten, wer nun Präsident wird, werden neu geschlossen.

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Den Kandidaten bleiben nur noch die Wahlreden, deren Inhalt ohnehin bekannt ist . Wahlentscheidende Wortgefechte gibt es nicht mehr. Bush und Kerry sind zum Warten verurteilt. Was jetzt zählt, ist Organisation. Wer die meisten Helfer mobilisiert und seine Zielgruppen genau kennt. Und die Parteien spannen Gott und die Welt für sich ein.

Kerry oder Kommunion

Die Republikaner zum Beispiel: sie setzen auf Gott. Oder doch zumindest bischöfliche Stellvertreter. Beim letzten Papstbesuch bat Bush höchstpersönlich im Vatikan um die Unterstützung der amerikanischen Bischöfe. Mit Erfolg: Der Erzbischof von Colorado und einige bischöfliche Kollegen werden in diesen Tagen nicht müde, die Demokraten abzukanzeln. Die Schäflein im Wahlvolk wurden von den Bischöfen deutlich gewarnt. Kerry wählen ist Sünde, denn Kerry duldet Abtreibung und die Homo-Ehe. Wer ihn wählt, muss das beichten. Des Bischofs Motto: Kerry oder Kommunion.

Die Demokraten sind weltlicher: sie setzen auf Zehntausende freiwilliger und bezahlter Helfer, die in hart umkämpften Wahlbezirken von Tür zu Tür wandern, um unentschlossene Wähler zu überzeugen. Selbst die Zeugen Jehovas könnten von der Hartnäckigkeit der Helfer noch lernen.

Demokratische Feuerwehr

Mein Nachbar Ben zum Beispiel: mit einem feuerroten Mietwagen fährt er in den nächsten Wochen durch die Vororte von Pennsylvania, um wahlfaule Sympathisanten zu mobilisieren. In seinem Taschencomputer eine Datenbank, die deutschen Datenschützern die Schamröte ins Gesicht treiben würde.

Alter, Beruf, Hobbys und Dutzende anderer persönlicher Infos der Bewohner ganzer Straßenzüge sind darin gespeichert. Die Rasterfahndung der Partei: zusammengetragen in jahrelanger Kleinarbeit. Wer Ben von seinen Sorgen erzählt, von Arbeitslosigkeit, schlechter Krankenversicherung, fehlenden Kindergartenplätzen, bekommt noch mehrfach Besuch von den politischen Drückerkolonnen. Denn die Sorgen werden notiert, gespeichert, an befreundete Organisationen weitergegeben. Dann klingelt es bald wieder an der Tür: Organisationen wie "America Coming Together“ oder "MoveOn.Org“ schicken Helfer, die Politikverdrossenheit in Stimmen umwandeln sollen.

Neuwähler ins Taxi

Und Ausreden bieten keinen Schutz vor den Wahlhelfern: Wer am Wahltag einen Kater hat oder ein Gipsbein, den holt mein Nachbar Ben ab und chauffiert ihn zur Wahlurne. Jede Stimme zählt, und die Demokraten haben bei den Autovermietern Tausende von Minibussen reserviert.

In den Meinungsumfragen sind solche Wähler noch nicht erfasst. Und die Demokraten glauben, dass hunderttausende Amerikaner auf diese Weise zum ersten Mal mobilisiert werden. Allein in Philadelphia werden 90 Prozent der neuregistrierten Wähler den Demokraten zugerechnet.

Möglicherweise muss sich der Erzbischof von Colorado nach dem Wahltag wieder auf seine Kernkompetenz konzentrieren: denn vor seinem Beichtstuhl wird sich allem Anschein nach eine lange, lange Schlange bilden.