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Interview-Zensur

Jennifer Abramsohn (chh)22. Februar 2007

In der deutschen Medianlandschaft ist es üblich geworden, Interviews vor der Veröffentlichung autorisieren zu lassen. Ein aktuelles Beispiel zeigt, dass manche Interviewpartner sich dabei rigoros selbst zensieren.

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Umag Interview mit Hannah Herzsprung
Was Sie nicht sagen!? Hannah Herzsprung zensiert sich selbstBild: U_mag

Es kommt selten vor, dass im Rahmen eines Prominenteninterviews die journalistische Integrität in Zweifel gezogen wird. Doch erst kürzlich sah sich das Lifestyle-Magazin "U_mag" genötigt, sich eine schwierige Frage zu stellen: Inwieweit darf man den Gesprächspartner das Interview nachträglich bearbeiten lassen und wann fängt Zensur an?

Für die Februarausgabe des Hochglanzmagazins hatte der Journalist Volker Sievert dem Film-Jungstar Hannah Herzsprung einige Fragen gestellt. Den Gepflogenheiten der Branche entsprechend, schickte er der Schauspielerin das Interview, um es absegnen zu lassen. Was die ihm allerdings zurückschickte, ließ ihn aus allen Wolken fallen. Während üblicherweise allenfalls sprachliche Ungenauigkeiten und kleine Fehler ausgemerzt werden, schien das Herzsprung-Interview einer Horde Weltkriegszensoren in die Hände gefallen zu sein.

Interview wurde "grotesk entstellt"

Hannah Herzsprung
Sagt Hannah Herzsprungs Lächeln mehr als trausend Worte? (Archivbild)Bild: AP

"Ich fühlte mich wirklich zensiert", berichtet Sievert. "Für einen derart massiven Eingriff habe ich kein Verständnis." Aufgrund der vorgenommenen Änderungen sei das Interview geradezu "grotesk entstellt" worden. "Das Endergebnis erinnerte eher an Eigenwerbung als an ein lebendiges Interview", beschreibt der Journalist.

"U_mag" entschied sich dennoch, das Interview zu drucken - inklusive der geschwärzten Passagen. "Wir haben uns benutzt gefühlt", sagt Sievert. Durch den Abdruck habe man den Lesern einen Eindruck davon vermitteln wollen, was heutzutage in den Medien üblich ist. Die Aktion hat in der deutschen Medienlandschaft für Aufsehen gesorgt und die Diskussion über die zum Teil sehr enge Beziehung zwischen Promis und Presse neu entfacht.

"Eine Hand wäscht die andere"

"Journalisten sind nicht rechtlich dazu verpflichtet, sich die Aussagen ihrer Interviewpartner anschließend autorisieren zu lassen", erklärt Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Doch leider sei dies in Deutschland gängige Praxis. Während große Zeitungen klareren journalistischen Standards folgten, ließen sich kleinere Publikationen eher ihre Interviews von den Gesprächspartnern absegnen. Sie seien nämlich häufig auf dieselben Interviewpartner angewiesen, meint Zörner. "Da wäscht eine Hand die andere."

Aber auch große Magazine wie "Der Spiegel" und "Stern" ließen sich ihre Interviews autorisieren, sagt Ingrid Kolb, Direktorin der Henri-Nannen-Schule für Journalismus in Hamburg. "Die langen Interviews, die 'Der Spiegel' mit berühmten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens führt, sind bekannt dafür." Die Beteiligten könnten ihre Argumente dutzendmal verfeinern und pointiertere Formulierungen wählen. Bestenfalls profitierten beide Seiten davon, so Kolb.

Öffentliches Anprangern hinterlässt "verbrannte Erde"

Im anglo-amerikanischen Journalismus würde man für ein solches Vorgehen verspottet - wenn nicht sogar gefeuert werden. "In Deutschland ist es aber zur Tradition geworden, sich längere Zitate und Interviews autorisieren zu lassen", erklärt Kolb. "Die Gesprächspartner teilen den Journalisten in der Regel mit, dass sie das erwarten." Der Abdruck eines geschwärzten Interviews führe nur zu "verbrannter Erde". Der Interviewpartner werde in Zukunft nichts mehr mit dem Magazin zu tun haben wollen, meint die Direktorin der Henri-Nannen-Schule.

Zeitungstitelseiten
In der deutschen Medienlandschaft ist die Autorisierung von Interviews gängige PraxisBild: picture-alliance/dpa

Laut Zörner ist die Autorisierungspraxis aber die Schwachstelle des deutschen Journalismus. Journalisten seien in dieser Hinsicht viel zu gefügig. "Interviewtexte haben eine informierende und erklärende Funktion. Wenn sie aber nachträglich geändert werden, sind sie eben keine Interviews mehr sondern PR-Texte", kritisiert der Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands.

Zensurwütigkeit auch bei Politikern

Das Herzsprung-Interview ist nur ein Beispiel, das journalistische Ausflüge in den Graubereich zwischen Pressefreiheit und Selbstzensur illustriert. Im Jahr 2003 warf die deutsche Presse der Regierung eine regelrechte Zensurwütigkeit vor. Damals veröffentlichen unter anderem die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Die Welt", "Süddeutsche Zeitung" und die "Financial Times Deutschland" Kommentare und Artikel, in denen sie dieses Vorgehen anprangerten. Die "Tageszeitung" druckte sogar ein komplett geschwärztes Interview des damaligen SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz ab.

Der deutsche Journalismus habe aber noch schlimmere Schwächen, betont Zörner. Laut eines aktuellen Berichts der Organisation "Reporter ohne Grenzen" befindet sich Deutschland mit Blick auf die Pressefreiheit auf Platz 23. Schuld daran sind vor allem die kontrovers diskutierten Durchsuchungen von Redaktionsräumen.

"Keine Gefahr für die Demokratie"

Trotz aller Probleme und Gefahren sei die Qualität des Journalismus in Deutschland aber sehr gut, meint Zörner. "Die Autorisierungspraxis stellt keine Gefahr für die Demokratie dar", beruhigt der Verbandssprecher. Außerdem seien Interviews nicht das einzige Mittel, das Journalisten zur Verfügung stünde, schließlich gebe es auch Berichte und Kommentare.