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Mensch, der Roboter beobachtet dich!

Fabian Schmidt1. September 2016

Wo Maschinen und Roboter eingesetzt werden, passen fast immer Menschen darauf auf, dass sie nichts falsch machen. Es geht aber auch andersherum, zeigt jetzt ein Fraunhofer-Projekt.

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Deutschland - Informatiker am Fluglotsen Simulator - 22.08.2016+++Bonn, Deutschland+++ Der Informatiker Andreas Werger sitzt als Proband an einem Fluglotsen-Simulator der Arbeitsgruppe für Mensch-Maschinen-Systeme am Fraunhofer Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie in Wachtberg bei Bonn (Foto: DW/F. Schmidt)
Andreas Werger bedient den Flugsimulator. Der Computer verfolgt genau, wohin er schaut und wie er reagiertBild: DW/F. Schmidt

Wir Menschen übertragen immer mehr Aufgaben an Maschinen - aber so richtig vertrauen wir ihnen dann doch nicht. Denken Sie nur einmal an selbstfahrende Autos - da würden wahrscheinlich einige von uns zweifeln: Trifft die Maschine immer die richtigen Entscheidungen? Macht sie vielleicht doch Fehler - womöglich mit tragischem Ausgang? Also sitzt sicherheitshalber immer noch ein Mensch daneben - der zur Not auf die Bremse treten oder den Not-Aus-Knopf bedienen kann.

Aber wie sieht es eigentlich andersherum aus? Warum sollten Maschinen den Menschen mehr vertrauen als die Menschen den Maschinen? Schließlich lautet bei folgenschweren Unfällen häufig die Diagnose: "Menschliches Versagen."

Deutschland - Fraunhofer FKIE Eye-Tracker
Der Eye-Tracker ist eine Infrarot-Kamera, die erkennt, wohin der Mensch gerade schautBild: DW/F. Schmidt

Erkennen, wenn es dem Bediener schlecht geht

Forscher aus Wachtberg haben nun also den Spieß umgedreht. Sie haben ein System entwickelt, bei dem der Roboter auf den Menschen aufpasst - ganz nach dem Motto: "Mensch, wie geht es dir?" Als mögliches Anwendungsszenario haben sie einen Fluglotsen-Simulator aufgebaut.

Der Informatiker Andreas Werger ist in die Rolle des Fluglotsen geschlüpft. Er sitzt am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationstechnologie und Ergonomie (FKIE) in Wachtberg vor einem Schulungs-Simulator und erfüllt Aufgaben, wie auch echte Fluglotsen sie zu lösen haben. Jessica Schwarz beobachtet ihn dabei.

"Da erscheinen jetzt gleich Luftkontakte, die durch den virtuellen Luftraum zufallsgesteuert fliegen", sagt die Psychologin. "Der Proband hat die Aufgabe, sicherzustellen, dass die Kontakte nicht miteinander kollidieren und innerhalb dieser Gebiete bleiben, die hier farbig markiert sind."

Der Computer weiß, wie es dem Menschen geht

Auf einem zweiten Bildschirm ist ein Leistungs- und Zustandsmonitor zu sehen. "Darauf kann man erkennen, wenn Leistungseinbrüche auftreten", erklärt Schwarz. Plötzlich erklingt ein Kollisionsalarm - der Proband tippt eilig Anweisungen an den virtuellen Piloten in den Computer.

Leistungs- und Nutzerzustandsmonitor (Foto: Fabian Schmidt/dw)
Der Monitor stellt dar, wie es um die sechs wichtigsten Nutzerzustände bestellt istBild: DW/F. Schmidt

Nicht nur die Psychologin wirft ein Auge auf den Probanden. Auch der Computer verfolgt ganz genau, was er tut und wie er sich verhält. Genau genommen tut das ein Eye-Tracker. Der erkennt immer genau, wo der Bediener gerade hinschaut. "Das ist ein kleiner Kasten, der unter dem Monitor steht", erklärt Projektleiter Sven Fuchs. "Da ist eine Kamera mit einem Infrarotfilter und Infrarotlampen drin, die das ganze Gesicht ausleuchten. Es wird aber nicht das ganze Gesicht erfasst, sondern es geht nur um die Reflexionen der Netzhaut. Diese können dann in Bildschirmkoordinaten umgerechnet werden."

Häufig werden Eye-Tracker als Computermäuse eingesetzt - etwa für Querschnittsgelähmte. Hier werden die Daten, die das Gerät liefert, indes genutzt, um das Verhalten des Fluglotsen zu überprüfen. Hat er noch den Überblick über den Luftraum auf seinem Bildschirm? Oder wird er vielleicht gerade abgelenkt - etwa durch eine SMS, die gerade auf seinem Mobiltelefon ankommt oder durch einen Kollegen, der Kaffee kocht?

Sekundenschlaf kündigt sich an

Auch, ob der Fluglotse nach langer monotoner Arbeit übermüdet ist, kann der Eye-Tracker gut erkennen. "Man kann über die Lidschlaghäufigkeit und die Lidschlagdauer die Müdigkeit erfassen. Das ist ein guter Indikator", sagt Psychologin Schwarz. Besteht die Gefahr, dass jemand in einen Sekundenschlaf fällt, fallen ihm meist schon vorher die Augenlider für längere Zeitabstände zu. So etwas erkennt der Eye-Tracker sofort. Der Computer könnte dann Alarm auslösen.

Neben dem Eye-Tracker haben die Forscher aber auch noch andere Sensoren in petto, die Auskunft über den Gesundheits- und Gemütszustand des Fluglotsen geben können: So gibt es einen speziellen Gurt, der ursprünglich für Soldaten und Feuerwehrleute entwickelt wurde. Er liefert permanent Informationen über lebenswichtige Körperfunktionen seines Trägers.

"Der Gurt wird um die Brust getragen und hat eine Sensoreinheit, die die physiologischen Maße erfassen kann, wie Atemfrequenz, Herzrate, Temperatur und eben auch die Position", sagt Schwarz. "Wenn sich der Mensch neigt, kann der Neigungswinkel bestimmt werden."

Brustgurt (Foto: DW/F. Schmidt)
Der Brustgurt erkennt Herzschlag, Atemfrequenz, Körpertemperatur und -HaltungBild: DW/F. Schmidt

Stress verändert die Körperhaltung

Kombiniert man nun die Daten des Eye-Trackers mit denen des Sensor-Gurtes, kann der Computer allerhand erkennen. Etwa: Ist der Fluglotse gestresst, weil sein Puls hoch ist, weil er hektisch atmet, auf dem Bildschirm hin- und herschaut und weil er sich immer weiter nach vorne neigt? "Bei Beanspruchung tendieren viele Menschen dazu, in den Monitor hineinzukriechen", sagt Sven Fuchs. "Die beugen sich dann immer weiter und weiter nach vorne und das kann man wunderbar über diesen Sensor erfassen."

Auch ein Sensor-Sitzkissen kann erkennen, wie der Mensch gerade auf seinem Stuhl sitzt. Ist der Fluglotse etwa entspannt, lehnt er sich eher in seinen Sessel zurück. Dann hat er auch einen niedrigen Puls und atmet ruhig. Aber Vorsicht ist trotzdem geboten! Vielleicht fallen ihm dann gleich noch die Augen zu!

Viele denkbare Anwendungen

Das System kann natürlich nicht nur bei Fluglotsen eingesetzt werden, sondern überall dort, wo es gefährlich werden kann, wenn der Mensch nicht völlig fit und aufmerksam ist. Das können Auto- und LKW-Fahrer genauso sein wie Menschen in den Schalträumen von Kraftwerken oder Chemieanlagen.

An all diesen Arbeitsplätzen nehmen technische Systeme den Menschen immer mehr Aufgaben ab. Ein unerwünschter Nebeneffekt: Die Aufmerksamkeit schwindet. Monotonie führt zu Langeweile, Müdigkeit zu Fehlern. Deshalb wollen die Forscher mit ihren Sensordaten Aussagen über sechs Haupt-Nutzerzustände treffen. "Das sind Aufmerksamkeit, Situationsbewusstsein, Beanspruchung, Müdigkeit, der emotionale Zustand und die Motivation", erklärt Psychologin Schwarz. "Das sind Zustände, die die menschliche Leistungsfähigkeit sehr stark beeinflussen und auch beeinträchtigen können, wenn da ein kritischer Zustand auftritt".

Deutschland - Fraunhofer FKIE Sven Fuchs und Jessica Schwarz
Sven Fuchs und Jessica Schwarz arbeiten daran, dass Maschinen ihre Menschen besser verstehenBild: DW/F. Schmidt

Intelligente Maschinen nehmen Rücksicht

Die Forscher denken sogar noch einen Schritt weiter. Das Ziel ihres Forschungsvorhabens ist es, dass in der Zukunft die Technik die richtigen Schritte ableitet und auf den Zustand des Nutzers Rücksicht nimmt. Projektleiter Fuchs vergleicht das gerne mit einer Arbeitssituation im Team.

Da kennen sich die Kollegen gegenseitig gut, und wissen, ob der andere gerade zu Scherzen aufgelegt ist. "Man kann sich anpassen, im Sinne von: 'der ist gerade gestresst, den lasse ich mal lieber in Ruhe'. Oder ich sehe: 'Der hat Langeweile, vielleicht kann ich dem ein bisschen was von meinen Sachen delegieren.' Mit interaktiven intelligenten Systemen wird das in eine ähnliche Richtung gehen", ist er überzeugt.

So ließen sich auch Simulatoren programmieren, bei denen die Nutzer je nach ihrer persönlichen Belastbarkeit Stressresistenz trainieren können. Wer fitter ist, wird dann vom Simulator stärker gefordert.

Und vielleicht lernt die Maschine der Zukunft dann auch ihren Nutzer immer besser kennen. Sie gibt ihm vielleicht dann weniger zu tun, wenn der Puls hoch ist, die Körperneigung vorgebeugt und der Blick konzentriert auf den entscheidenden Punkt des Bildschirms zeigt. Dann wartet sie vielleicht mit der nächsten Aufgabe ab - bis es etwas entspannter zugeht.