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Wer ist der Größte? (Mk 9,34)

22. September 2012

Ganze Industrien leben von Rankings. Anders das Christentum mit seiner Hochachtung der Bescheidenheit. Aber ist devotes sich Kleinmachen wirklich die Botschaft Jesu? - fragt Hildegard König von der katholischen Kirche.

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Prof. Dr. Hildegard König, Chemnitz
Prof. Dr. Hildegard König, ChemnitzBild: Hildegard König

Wer ist der Größte? – Wer ist die Beste, die Schönste, die Klügste? Wer ist der Fitteste, der Coolste? – Deutschland sucht den Superstar, die Welt die Superathleten. Ganze Industrien leben von Rankings. Soviel Exzellenz wie heute war noch nie. Immer geht es um besser, stärker, erfolgreicher.

Im Evangelium dieses Sonntags, das wir in Markus 9, in den Versen 30 bis 37 nachlesen können, geht es genau um diese Frage: Wer ist der Größte? Jesus spricht zu seinen Vertrauten über seinen nahen Abschied, und die machen sich gleich daran, die Nachfolge zu regeln: Wer ist der Größte? – Wer soll die Führung übernehmen? Jesus entzieht sich dieser Diskussion nicht; er greift sie auf und erteilt seinen Allerbesten eine Lektion: Der mit dem Führungsanspruch soll erst einmal zeigen, was er drauf hat. Erwartet wird Kompetenz in Dienstleistung: Wer der Erste sein will, sei der Letzte und euer aller Diener.

Für eine Leitungsaufgabe in der ganz jungen Christengemeinde des Markus kommt demnach nur jemand in Frage, der sich von ganz unten hochgedient hat. Schöne Perspektive!

Ich muss zugeben, dass mir das überhaupt nicht passt: Sich hochdienen zu müssen und dabei von anderen ausgebremst zu werden; sich unterordnen und abarbeiten zu müssen an schlimmstenfalls unfähigen Vorgesetzten. Und dann diese Aufforderung zur Demut: Sich selbst für den oder die Letzte von allen zu halten, sich klein machen zu müssen vor anderen und von denen dann klein gehalten zu werden. - Das will ich nicht für mich und nicht für andere. Devotes Verhalten im Namen Christi ist mir zuwider.

Aber vielleicht habe ich Jesus gründlich missverstanden, wenn ich so reagiere. Womöglich habe ich genauso wenig von ihm begriffen wie seine Gefährten damals. Dabei zeigt er ihnen und uns sehr eindrücklich, wie er verstanden sein will.

Er ruft ein Kind herbei, so ein neugieriges palästinisches Gassenkind, das sich wohl an der Tür oder bei den Erwachsenen herumgedrückt hat, um etwas für den Kopf oder den Magen mitzubekommen. Er stellt das Kind vor seine Leute hin und sagt, was er unter Dienstleistung versteht: Wer so ein Kind meinetwegen aufnimmt, der nimmt mich auf (Mk 9,37).- Einfacher geht es nicht. Er sagt nicht: Wer so ein armes Waisenkind adoptiert, oder einen minderjährigen Kleinkriminellen resozialisiert oder ein hungriges Kriegskind aufpäppelt meinetwegen. Er ruft einfach ein Nachbarskind herbei und fordert nicht mehr, als dass diesem Kind ein offenes Ohr, eine offene Hand, ein offenes Herz geboten wird; dass dieses Kind mit seiner Lebensfreude, seiner Lust am Chaos, seinem kindlich-kritischen Blick auf die Erwachsenenwelt seinen Platz in meiner Nähe, in meinem Leben haben darf.

Jesus geht es also nicht ums Hochdienen, oder um die hohen und manchmal nur hohlen Ideale einer Dienstleistungsgesellschaft, sondern um eine lebensdienliche Haltung, die Kinder um ihrer selbst willen achtet und sein lässt. Es geht ihm um eine lebensdienliche Haltung, die sich kranken und behinderten, gebrechlichen und ausgegrenzten Menschen zuwendet, weil sie es wert sind. Das hat Jesus seinen Zeitgenossen in vielfacher Weise vorgelebt.

Wenn ich das bedenke, wenn ich mir die Szene vor Augen stelle, wenn ich sehe, wie Jesus mit seiner kleinen Aktion alles Schwere aus der Diskussion nimmt und dem Leben in seiner ganz normalen Alltäglichkeit seine Achtung schenkt, dann begreife ich, dass es gar nicht darum geht, wer erster oder letzter, wer größer oder kleiner ist, sondern um das Ja zum Leben, jene göttliche Gabe, die Himmel und Erde verbindet.

Eine solche lebensdienliche Haltung aus Freude am Dasein schaut nicht auf oben oder unten. Sie ist zupackend und ansteckend und zu ganz Außergewöhnlichem fähig. Sie macht kein Aufheben von sich. Aber sie ist das Herz jeder Mitmenschlichkeit, egal, ob sie sich auf Jesus Christus beruft oder anders begründet ist.

Dr. Hildegard König ist Professorin für Kirchengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Darüber hinaus ist sie als freie Dozentin tätig.