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Abwärtsspirale

23. April 2009

Die deutsche Wirtschaft wird um sechs Prozent schrumpfen, sagen die Wirtschaftsforscher voraus. Das sollte ein Grund für die Politik sein, die Ratschläge der Ökonomen ernster zu nehmen als bisher, meint Rolf Wenkel.

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Bild: DW

In den vergangenen acht Jahren haben die Forschungsinstitute 16 Gutachten über die künftige Wirtschaftsentwicklung abgeliefert – und nur ein einziges mal lagen sie mit ihrer Prognose richtig. Fast immer hatten sie die Zukunft zu rosig gezeichnet und die Wachstumskräfte überschätzt. Doch jetzt ist zu befürchten, dass sie mit ihrer Prognose leider einmal recht behalten werden: Die deutsche Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise.

Die alles entscheidende Frage ist: Haben wir es mit einem "U" oder einem "L" zu tun? Wer diese beiden Buchstaben aufmalt, beginnt links oben und zeichnet erst einmal einen steilen Strich nach unten. Bei einem "U" geht es dann rasch wieder aufwärts, während der Buchstabe "L" eine lange Phase der Stagnation repräsentiert. Und die Gefahr, dass es der deutschen Wirtschaft ähnlich ergehen könnte wie der japanischen, die nach der Krise der 90er Jahre fast ein Jahrzehnt in einer Stagnationsphase steckte, ist nicht zu unterschätzen.

Das Gespenst der Deflation

Rolf Wenkel

Rund eine Million Menschen werden vermutlich ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn die Forscher recht behalten. Die Folge könnte eine beispiellose Konsumzurückhaltung sein – denn wer um seinen Arbeitsplatz fürchten muss, wird seine Groschen zusammenhalten. Bleibt die Nachfrage aus, sehen die Unternehmen keinen Grund zu investieren oder ihre Lager aufzufüllen. Um die Nachfrage zu beleben, könnten sie auf die Idee kommen, nicht nur ihre Kosten, sondern auch ihre Preise zu senken. Dann kämen wir in die Phase, die ein Ökonom fürchtet wie der Teufel das Weihwasser: den Attentismus. Denn wenn die Menschen mitbekommen, dass die Preise sinken, werden sie erst recht nicht konsumieren – sie werden abwarten, ob die Preise nicht noch weiter sinken. Eine Abwärtsspirale wäre die Folge, für die es ein Wort gibt: Deflation.

Auch die Institute sehen diese Gefahr. Sie raten dringend dazu, das Übel bei der Wurzel zu packen und zuallererst einmal die Banken zu sanieren. Würden die Bilanzrisiken und Eigenkapitalprobleme der Geldhäuser nicht gelöst, käme es zu einer erneuten Vertrauenskrise, schreiben sie in ihrem Gutachten. Die Folge wäre ein nochmaliger Einbruch bei Aufträgen und Produktion. "Dann wäre ein Abgleiten in eine weltweite deflationäre Abwärtsspirale nicht unwahrscheinlich", heißt es wörtlich.

Banken sanieren

Das Rezept der Ökonomen ist einfach und klar. Dringlichste Aufgabe der Politik ist es, die Rekapitalisierung der Banken voran zu bringen. Notfalls sollten die Geldhäuser sogar zur Annahme von staatlichen Hilfen gezwungen werden. Und die Europäische Zentralbank sollte diese Aktion flankierend begleiten, indem sie die Zinsen noch einmal kräftig von jetzt 1,25 auf 0,5 Prozent senkt. Reicht das nicht aus, sollte sie zu unkonventionellen Maßnahmen greifen und beispielweise Unternehmens- und Staatsanleihen kaufen.

Das sind deutliche Worte – aber die sind durchaus angebracht in einer Krise. Denn in jeder Krise steckt auch eine Chance. Die Chance nämlich. dass die Politik diesmal die Ratschläge der Ökonomen ernster nimmt als früher, als die Gutachten regelmäßig in der Schublade verschwanden und lediglich als Grundlage für viel zu optimistische Schätzungen über künftige Steuereinnahmen dienten. Andererseits ist der Berufsstand der Ökonomen seit Einsetzen der Finanzkrise schwer in Verruf geraten, schließlich hat niemand aus der Profession die Tiefe und die Tragweite dieser Krise vorausgesagt. Mit diesem Hinweis könnte die Politik sämtliche Ratschläge der Zunft ignorieren – und aus einem möglichen "U" ein "L" machen.

Autor: Rolf Wenkel

Redaktion: Klaus Ulrich/HF