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Wer Ohio gewinnt, gewinnt die Wahl

Daniel Scheschkewitz aus Ohio12. Oktober 2004

Die Präsidentschaftswahl in den USA am 2.11. rückt näher und näher. Einer der stark umkämpften Staaten ist Ohio. Wer hier in der Vergangenheit die Mehrheit der Stimmen erhielt, zog fast immer auch ins Weiße Haus ein.

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Singt für politischen Wandel: Bruce SpringsteenBild: AP

In der "Rock'n Roll Hall of Fame" in Cleveland gibt es auf sieben Etagen nicht nur die weltweit größte Sammlung von Rock-and-Roll-Devotionalien zu sehen; in der Walhalla des Rock'n Roll wurde auch die politische Sprengkraft der Musik eindrucksvoll dokumentiert, als die amerikanische Rocklegende Bruce Springsteen mit seiner "Vote For Change Tour" (Wählen für den Wechsel) durch die Metropolenstadt im Nordosten Ohios zog. Wenn Bruce Springsteens Wunsch vom Machtwechsel am 2. November 2004 in Erfüllung gehen soll, wird John Kerry in Ohio siegen müssen.

"Auf Hauen und Stechen"

Bush geht in die Offensive
US-Präsident George W. Bush (Archiv)Bild: ap

Vor vier Jahren gewann George W. Bush den Rosskastanienstaat, wie ihn die Einwohner nennen, allerdings nur mit hauchdünnem Vorsprung. So wird es auch diesmal werden, meint John Green, Politikprofessor an der Universität von Akron (Ohio). "Weil es hier so knapp ist, ist es natürlich durchaus möglich, dass ein nicht vorhersehbares Ereignis im Bereich der Außenpolitik oder ein wirtschaftliches Unglück den Ausschlag gibt, denn es müssten nur wenige Wähler das Lager wechseln", so Green. "Wenn das nicht passiert, wird es ein Kampf auf Hauen und Stechen bis zum Wahltag."

Beide Parteien haben ihren Wahlkampf so intensiv wie selten zuvor geführt. Die Republikanische Partei hat allein 70.000 freiwillige Helfer mobilisiert. Robert Bennet, ihr Parteivorsitzender im Staat Ohio, rechnet mit einem komfortablen Ergebnis für den Präsidenten. "Die Amerikaner brauchen in der Regel einen Grund, um den amtierenden Präsidenten abzuwählen. Sonst wird er für eine zweite Amtszeit wieder gewählt", sagt Bennet. "Man schaut sich den Gegenkandidaten an, sympathisiert auch mit der Stimmabgabe für ihn. Aber wenn es darauf ankommt, stimmt man doch lieber für den Präsidenten, den man kennt."

"Bush polarisiert"

John Kerry vor der zweiten Fernsehdebatte mit George Bush
John Kerry (Archiv)Bild: AP

Im demokratischen Lager ist man indes nicht weniger optimistisch. 500.000 neu registrierte Wähler allein in Ohio sind für James Ruvolo, den hiesigen Leiter der Kerry-Kampgagne, ein deutliches Zeichen dafür, dass auch breite Schichten, die bislang nicht am politischen Prozess teilnahmen, mit Bush unzufrieden sind und einen Wechsel wollen.

"Präsident Bush hat polarisiert", sagt Ruvolo. Bush spalte die Menschen anstatt sie zu versöhnen. "Deswegen ist dieser Wahlkampf so hart. Aber die Leute in der Mitte wollen eine Veränderung und die Republikaner wollen deswegen nicht, dass sie wählen gehen. Die unentschiedenen Wähler werden letztlich gegen Bush stimmen, vorausgesetzt, dass sie im Gegenkandidaten eine echte Alternative sehen, und als solche hat sich John Kerry in den Fernsehdebatten erwiesen."

Angst vor Wehrpflicht

An der "Case Western University" in Cleveland veranstalteten am Vorabend des Rededuells zwischen Vizepräsident Dick Cheney und John Edwards (6.10.) Studenten aus allen Teilen der USA einen Debattiergipfel. Im Gespräch sind es vor allem der Irakkrieg und die drohende Wiedereinführung der Wehrpflicht in den USA, die den jungen Menschen Sorgen machen. "Die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen trägt die Hauptkriegslast", sagt die Soziologie-Studentin Colleen Gaydos, "und wir möchten sichergehen können, dass unser Präsident erst alle anderen Möglichkeiten ausschöpft und uns nicht in einen unnötigen und unverantwortlichen Krieg schickt."

Ohio hat in der ersten Amtszeit von Präsident Bush 235.000 Arbeitsplätze verloren – mit 6,3 Prozent liegt die Arbeitslosenrate deutlich über dem US-Durchschnitt. ......Vor allem in der einst bedeutsamen Stahlindustrie sind in den vergangenen Jahren viele Jobs verloren gegangen. Die Firma Timken produziert seit Generationen Kugellager im kleinen Städtchen Canton an der Grenze zu Pennsylvania. Bisher war sie der größte Arbeitgeber vor Ort. Doch den inzwischen 11.000 Beschäftigten der Firma im Ausland, werden bald weitere folgen. Die Werkstätten in Canton sollen an kostengünstigere Standorte verlegt werden. Das negative Image, das die USA unter Bush erworben haben, ist dabei bislang kein Störfaktor. Beim Outsourcing zählt allein der Kostenvorteil, wie Firmenchef James Griffith sagt: "Präsident Bush und sein Vorgehen im Irak hat unsere Geschäfte nicht beeinträchtigt. Geschäftsleute entscheiden nach wirtschaftlichen Kriterien. Dort wo unser Produkt Sinn macht, haben wir Zugang zum Markt und sonst nicht." Seine Wahlentscheidung ist für den Firmenchef Privatangelegenheit.

Außenpolitik

Anders Mark Granakis. Der lokale Gewerkschaftsboss bei ISG Steel Mills, Clevenlands letztem noch verbliebenen Stahlwerk, das nach vorübergehender Schließung erst 2003 wieder ans Netz ging, macht aus seinem Herzen keine Mördergrube: "Vor zweieinhalb Jahren, also in der Amtszeit dieses Präsidenten, wurde unser Werk dicht gemacht. Überall in den USA wurden Stahlwerke geschlossen. Bush hat die Sorgen der Stahlindustrie ignoriert. Das Resultat ist, dass viele 1000 Menschen in der Branche heute ohne jede Gesundheitsversicherung und ohne ihre Betriebsrenten dastehen."

In einer Stadt wie Cleveland, die als eine der ärmsten der USA gilt, ist die Sicherung von Arbeitsplätzen natürlich ein wichtiges Wahlkampf-Thema. Aber auch hier, in der amerikanischen Provinz, hat die Außenpolitik, allen voran der Kampf gegen den Terror, dem Wahlkampf seinen Stempel aufgedrückt. Elisabeth Sullivan außenpolitische Redakteurin bei Ohios führender Tageszeitung, dem "Plain Dealer": "Ich bin mir nicht sicher, ob in Ohio, außenpolitische Dinge wahlentscheidend sind. Ohio hat die letzte Rezession übel mitgespielt und wir leiden immer noch an Arbeitsplatzverlusten in einigen unserer Kernindustrien. Washington hat darauf bisher nicht reagiert. Aber eines steht fest. In meiner Lebenszeit hat seit dem Vietnamkrieg die Außenpolitik noch nie eine so wichtige Rolle gespielt wie bei dieser Wahl."

Wer die 20 Wahlmänner von Ohio am 2. November für sich gewinnen kann, hat gute Chancen ins Weiße Haus einzuziehen. Seit 1948 hat der Rosskastanienstaat nur einmal nicht für den späteren Präsidenten gestimmt. Ob die Faustregel "wer Ohio gewinnt, gewinnt die USA" auch am 2. November weiter Bestand hat, wird man mit Sicherheit erst dann wissen, wenn in der "Rock'n Roll Hall of Fame" die Lichter schon lange erloschen sind.