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Neuer Dokumentarfilm: "Wer war Hitler"

Julia Hitz
7. September 2017

Die Auseinandersetzungen mit Adolf Hitler füllen lange Listen von Büchern, Filmen und TV-Specials. Kino-Dokumentarfilme über Hitler gab es jedoch nur zwei. Hermann Pölking verfolgt jetzt einen neuen Ansatz.

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Historische Aufnahmen - Wer war Hitler
Bild: Edition Salzgeber

Die Eindrücke von Zeitgenossen des jungen Adolf Hitler: von seinem Jugendfreund August Kubizek, vom jüdischen Hausarzt der Familie Hitler und von Hitlers Schwester Paula Wolf waren nicht sehr schmeichelhaft:

  1. "Alle seine Angehörigen hielten ihn für einen Taugenichts, der jede brotbringende Arbeit scheute." (Kubizek)
  2. "Er war der Liebling seiner Mutter und vergötterte dieselbe." (Hausarzt der Familie Hitler)
  3. "Alles drehte sich um Adolf… Wenn Adolf etwas wollte, dann bekam er es - meist auf Kosten anderer." (Paula Wolf)

Keine Sprecherstimme, kaum ergänzende Informationen, keine Talking Heads oder einordnende Experten. Durch den siebeneinhalbstündigen (!) Dokumentarfilm des Buchautors und Filmemachers Hermann Pölking führen fast ausschließlich Zeitzeugen Adolf Hitlers - von seiner Geburt 1889 im österreichischen Braunau am Inn bis zum Selbstmord im Berliner Führerbunker 1945: Weggefährten, Feinde, Opfer und Beobachter kommen zu Wort, unzählige Zitate, eingesprochen von 125 Sprecherinnen und Sprechern.

Wer war Hitler?  Ein Kaleidoskop an Antworten 

Der Dokumentarfilm verfolgt das gleiche Prinzip wie das Buch, das bereits 2016 im be-bra Verlag erschienen ist: Hier bilden 17 Zitatsammlungen 17 Kapitel, die jeweils einen Abschnitt in Hitlers Leben (und ab 1933 auch der Weltgeschichte) behandeln und gleichzeitig Aspekte seiner Persönlichkeit beleuchten (etwa: Hitler - ein Tunichtgut, ein Ideologe, ein Mörder, ein Biedermann, ein Brandstifter, ein Kriegsverbrecher usw.). Dazu ein einordnender Text, der im Buch den historischen Forschungsstand ergänzt. Im Film stützt er kaum spürbar den Erzählfluss.

Historische Aufnahmen - Wer war Hitler
Wer Hitler im Wirken seiner Zeit begreifen will, muss Zeit mitbringen: Die Festivalfassung von "Wer war Hitler" geht 7,5 StundenBild: Edition Salzgeber

Eine dynamische Dramaturgie lässt sich so nicht entwickeln. Der Film nimmt sich Zeit, durch die Zitate ist das Erzähltempo gleichmäßig, plätschert stellenweise dahin und verlangt dem Zuschauer viel Konzentration und Durchhaltevermögen ab. Was im Buch durch die Bündelung gut funktioniert, wird in der filmischen Form sperrig. Wer sich die 7 1/2-stündige Festival-Fassung ansehen will, muss sich einlassen können - und wollen. Die Kinoversion, die an diesem Donnerstag (06.09.2017) an den Start geht, ist mit etwa drei Stunden als "Kurzfassung" geplant.

Unbekanntes Filmmaterial

Belohnt wird die Ausdauer mit einer faszinierenden Auswahl von zeitgenössischem Filmmaterial jenseits des bereits Bekannten. Hermann Pölking arbeitet seit 1983 konsequent mit Amateurfilmen aus der Zeit von 1900-1955 und hat sich systematisch einen riesigen privaten Fundus angelegt. So gelingt es ihm tatsächlich, 7,5 Stunden fast durchgehend mit Bewegtbild zu füllen, von ein paar wenigen Fotos abgesehen. Seit 1983 arbeitet er als Lektor, Herausgeber und Autor von Büchern zu Technikgeschichte und Alltagskultur. Hermann Pölking hat sich bereits zuvor anderen monumentalen Projekten gewidmet: Seine Reihe "Die Deutschen von 1815 bis heute" (2005) schlug in zwölf Folgen und vier illustrierten Büchern den Bogen vom Kaiserreich bis in die Gegenwart. Das Projekt "Wer war Hitler", das 2014 begann, ist vom Filmmaterial her geplant worden.

Private Historische Aufnahme: Frauen beim Hitlergruß
Die verwendeten Amateurfilme reflektieren, wie tief die deutsche Gesellschaft von Hitler und seinen Ideen durchdrungen warBild: Edition Salzgeber

"Das Buch war für mich mehr eine Absicherung, es sollte die wissenschaftliche Nachprüfbarkeit gewähren", so Pölking. Für den Film wurde eine extrem umfangreiche Archivrecherche betrieben: Mehr als 120 Archive in 14 Ländern wurden ausgewertet, 850 Stunden Film gesichtet. Vom Filmmaterial ausgehend hat Pölking in mehr als 800 Büchern nach passenden Zitaten gesucht, aus über 400 zitiert er in der Langfassung des Films.

Bildcollagen des Führers

In seinem Dokumentarfilm setzt Pölking oft private Archivfotos als Themenbilder ein, als bildliche Untermalung eines in den Zitaten behandelten Themas. Bild-Text-Parallelität nennt er das. Die Bilder stammen zwar in etwa aus der zitierten Zeit (mit einer Abweichung von maximal zwei Jahren), haben aber mit den Zitaten eine oft nur assoziative Verbindung. Diese Technik beschert dem Film ein paar großartige, aber auch fragwürdige Momente. Wenn Aufnahmen nackter Frauen mit Zitaten zu Hitlers Körperverhältnis kombiniert werden, ist das einfach irritierend.

Adolf Hitler und Eva Braun
Privatleben: Adolf Hitler war - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - in einer festen Beziehung mit Eva BraunBild: picture-alliance/dpa

Andererseits gelingen auch Szenen wie diese: Drei Mädchen spielen, schreiben Weihnachtswünsche auf und schmücken den Christbaum, darüber das Zitat eines Hitlermädels: "Mein lieber Führer, ich gratuliere dir recht herzlich zu deinem Geburtstag und wünsche dir alles Gute. Aber denk dir nur: Wir müssen immerzu über dich Aufsätze schreiben und das tut auf die Dauer unserer Liebe zu dir Abbruch. Und außerdem bist du uns viel zu schade dazu. Gib doch bitte den Befehl, dass unsere Lehrer andere Themen wählen. Sieg heil! Dein Jungmädel, Maddy D., Bad Homburg".

Überhaupt sind es oft die Szenen mit Kindern, die in einem schmerzhaften, aber gelungenen Kontrast zum Zitat stehen - etwa eine Gruppe von HJ-Jungs, die Soldatenspiele spielen, vor einem Zitat von Adolf Hitler, in dem er behauptet, Deutschland werde nie den Frieden brechen. Der Kriegsausbruch wird - seltsam passend - durch eine zeitgleiche Kanufahrt zweier Frischvermählter auf der Oder bebildert.

Bewusste Text-Bild-Scheren

Das Filmmaterial zeigt harte Bilder: in Russland Erfrorene, in Warschau Verhungerte, Leichenberge in Konzentrationslagern und Judenerschießungen am Fließband. Noch grausamer werden die Untaten vor der Blaupause der Kehrseite des Lebens in der Nazizeit: Eine Familienidylle, vor Gesundheit und Leben strotzende Kinder beim ruhigen Spielen in einem Garten. Dazu ein Zitat von Primo Levi auf dem Weg ins KZ Auschwitz:

Polen Auschwitz Eingang Konzentrationslager
Der Eingang des Konzentrationslagers in Auschwitz-BirkenauBild: picture-alliance/AP Photo/C. Sokolowski

"Jeder nahm auf seine Weise Abschied vom Leben. Einige beteten, andere betranken sich. Doch die Mütter sorgten die Nacht hindurch mit liebevoller Hingabe für die Reisewegzehrung, wuschen die Kinder. Und in der Morgendämmerung hingen die Stacheldrähte voller Kinderwäsche, die der Wind trocknen sollte. Sie dachten auch an die Spielsachen und die huntertlei kleinen Dinge, die von Kindern stets benötigt werden. Tätet ihr's nicht ebenso? Würde man morgen Euch und Euer Kind ums Leben bringen, gäbet ihr ihm nichts zu essen?"

"Ein großer Lügner"

Der Filmemacher Herrmann Pölking hat es fast durchgehend vermieden, den schreienden Hitler bei einer seiner vielen erhaltenen Reden zu zeigen. Überhaupt ist der Film erstaunlich lärmfrei: Das Stummfilm-Material ist dezent nachvertont, die Musik setzt subtile Akzente. Das populistische Auftrumpfen des hypnotischen Redners tritt in den Hintergrund - so schimmert mehr von der Substanz des Menschen Adolf Hitler durch. Das persönliche Fazit von Hermann Pölking zur Person Adolf Hitler fällt wenig schmeichelhaft aus: "Hitler war ein großer Lügner, ein sehr begabter Schauspieler, der ohne Hemmungen log; ein Mensch mit einer Fähigkeit zur Selbstsuggestion, aus der er Willensstärke schöpfte - die gefährlichste Mischung, die es gibt".