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Westhausers beispielhafte Rettung

Judith Hartl / Hannah Fuchs19. Juni 2014

Es waren bewegende zwölf Tage mit einem emotionalen Happy End. Nach einer einzigartigen Rettungsaktion am Untersberg wurde der Höhlenforscher Johann Westhauser in eine Klinik gebracht.

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Untersberg Rettung Johann Westhauser Riesending Schachthöhle
Bild: picture-alliance/dpa

Gänsehaut bei der Pressekonferenz im Berchtesgadener Feuerwehrhaus. Zum ersten Mal zeigten die Vertreter der Bergwacht große Gefühle: Heute sei ein "Kapitel alpiner Rettungsgeschichte geschrieben worden ", sagte Norbert Heiland sichtlich bewegt. "Wir dachten, eine solche Rettung aus fast 1000 Meter Tiefe sei unmöglich, wir hatten anfangs unsere Zweifel ". Diese Mammutaufgabe sei nun geschafft, dem Patienten gehe es den Umständen entsprechend gut. Mittlerweile sei Johann Westhauser per Helikopter wohlbehalten in der Klinik eingetroffen. Damit sei "das wesentliche Ziel erreicht". "In welche Klinik?", fragt ein Journalist. "In die Geheimhalte-Klinik ", antwortet Norbert Heiland knapp. Damit hat er die Lacher auf seiner Seite. Später wird bekannt, dass Westhauser in der Unfallklinik Murnau in Oberbayern behandelt wird.

Möglich war diese einzigartige Rettung jedoch nur dank der vielen Retter, sagt der Leiter der Schweizer Rettungsgruppe, Andy Scheurer. Er sieht müde aus: "Es war ein prägendes Erlebnis, die Hauptarbeit haben die Retter gemacht, die in der Höhle geschuftet haben." Sie hätten Höchstleistungen gezeigt, über 274 Stunden. Sogar die härtesten Kerle, sagt Scheurer, seien zwischendurch den Tränen nah gewesen. Auch der bayrische Innenminister Joachim Herrmann, der aus München angereist war, zeigte sich begeistert von dieser "größten und längsten Rettungsaktion in der Geschichte der Bergwacht Bayern ". Doch nur dank der internationalen Solidarität der Retter sei das möglich gewesen.

202 Retter aus Deutschland, Österreich, Italien, Kroatien und der Schweiz waren in den letzten zwölf Tagen im Berg, über 700 Helfer waren zusätzlich am Berg. Zum Schluss, sagt Andy Scheuer hätten die Helfer aufpassen müssen, nicht zu euphorisch zu werden und vorsichtig zu bleiben. Auch deswegen habe man zum Schluss noch einmal gebremst. Und wirklich - es war eine Achterbahn der Gefühle.

Am Mittwochabend verkündete der Sprecher der Bergwacht, Roland Ampenberger, es ginge nun alles ganz schnell, die Rettungsteams ließen die vorgesehene Ruhepause in Lager I aus und kämen voraussichtlich schon zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens an die Oberfläche. Um ein Uhr morgens der Dämpfer - die Mannschaft habe sich entschieden, doch zu pausieren. Erst um 5:30 Uhr ginge es weiter, von da an begann das große Warten auf die erlösende Nachricht. Dann - endlich – am Donnerstag, 19. Juni 2014, um 11:44 Uhr war es soweit: Johann Westhauer war gerettet.

Wie ernst sein Zustand ist, wird sich erst bei den vielen anstehenden Untersuchungen zeigen. Doch ohne den aufopfernden und hochprofessionellen Einsatz der vielen Rettungskräfte hätte er keine Chance gehabt: Zwölf Tage lang schleppten und zogen sie den Schwerverletzten durch enge glitschige Schächte und hievten ihn am Seil senkrecht nach oben.

Sieben Kilometer Wegstrecke galt es zu bewältigen

Auf der gesamten Strecke steckte Westhauser in einer beheizbaren Trage. Viel herum wackeln durften die Rettungskräfte nicht, denn der Höhlenforscher hatte durch einen schweren Steinschlag ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten und gehörte eigentlich auf die Intensivstation. "Wir wissen nicht, wie es dem Patienten geht ", betonte Norbert Heiland von der Bergwacht Bayern immer wieder, versicherte aber, dass Ärzte an der Seite Westhausers seien und seinen Zustand ständig überwachten. Etwa 60 Rettungskräfte waren zu jeder Tages- und Nachtzeit im Berg. Die internationalen Teams wechselten sich ab - rund um die Uhr waren sie im Einsatz und schafften alleine mit Muskelkraft, Seilen, Bohrhaken und Metallstiften das zu Beginn des Dramas Unvorstellbare.

Bilder der Rettung aus der Riesending-Schachthöhle (Foto: dpa).
Nach fünf Tagen die erste Entwarnung: Es geht Westhauser gutBild: Markus Leitner/BRK BGL/dpa

Sogar die Experten waren nach den ersten Tagen überrascht, wie schnell die Rettungsteams vorankamen. "Da ist ein enormer Zusammenhalt unter uns Höhlenforscher ", sagt ein italienischer Helfer, "da ist starke Kameradschaft!“ Diese Motivation habe Kräfte freigesetzt, fügt er hinzu - und sieht dabei sehr müde, aber glücklich aus.

Ende einer Erkundungstour auf 1000 Meter Tiefe

Der 52-Jährige Westhauser hatte sich zusammen mit zwei Kollegen auf Erkundungstour in Deutschlands tiefste Höhle - in das 'Riesending' begeben. In einer Tiefe von fast 1000 Meter unterhalb des Höhleneingangs kam es am 8. Juni 2014 zu einem Steinschlag. Es war etwa 1:30 Uhr in der Nacht, als der Höhlenforscher von einem Brocken am Kopf getroffen und kurzzeitig bewusstlos wurde. Westhauser erlitt Kopfverletzungen - und konnte den Aufstieg nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen.

Infografik zum Aufbau der Riesending-Schachthöhle (Grafik: DW)
Die Route für den Rückweg stand schnell, für die Durchführung allerdings war eine ganze Menge Menpower nötig

Seine Begleiter handelten promt - und teilten sich auf: Ein Kollege blieb bei Westhauser, der zweite machte sich derweil auf den Rückweg, um Hilfe zu holen: Ein knapp zwölf Stunden langer Aufstieg stand ihm bevor. Bis die Bergwacht verständigt und ein Rettungsteam zu Westhauser vorgedrungen war, vergingen fünf lange Tage. Am 12. Juni 2014 gab es die erste erlösende Nachricht: Der Höhlenforscher sei wohlauf! Die Mission Bergrettung konnte starten.

"Was ist das denn für ein Riesending? "

Doch die Riesending-Schachthöhle im Untersberg zwischen Berchtesgaden und Salzburg hat es in sich: Es gibt unzählige Engstellen - nur schlanke Menschen kommen dort durch, man müsse sich immer wieder abseilen und Steinschlag und Wasser seien in der verwinkelten Höhle ebenfalls keine Seltenheit, so die Beschreibung der Bergwacht Bayern. Und vor allen Dingen ist sie groß. Sehr groß!

"Was ist das denn für ein Riesending? " soll 1995 die erste Aussage gewesen sein, als man die gigantische Höhle entdeckte, so die Arbeitsgemeinschaft für Höhlenforschung Bad Zahnstein. Ihr wahres Ausmaß zeigte sich dann ab 2002, nachdem mit Forschungen an und in der Höhle begonnen wurde. Auch Johann Westhauser zählt zu den Erschließern. Bis heute gilt die Riesending-Schachthöhle in den bayrischen Alpen als tiefste und längste Höhle Deutschlands.

Ganz erkundet ist dieses Höhlensystem aber noch längst nicht. Ob das jemals geschehen wird, und Höhlenforscher dem Geheimnis des Riesendings weiter nachgehen können, muss noch entschieden werden. Das Land Bayern wird die Höhle höchstwahrscheinlich sperren. Technisch sei das leicht möglich, sagte der bayrische Innenminister Joachim Herrmann - auch im Interesse aller Rettungskräfte.

Wo genau der Eingang ist, wussten bislang nur wenige Eingeweihte. Doch durch den Unfall ist das Riesending jetzt weltberühmt. Und nun wird befürchtet, dass expeditionslustige Touristen sich die Schächte der Höhle ebenfalls einmal näher ansehen wollen - und leichtsinnig handeln.