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Wetten und Picknicken auf der Galopprennbahn

Jefferson Chase4. Mai 2014

Schöne Pferde, stilvoll gekleidete Menschen und ein bisschen Nostalgie. Jefferson Chase hat für uns die Galopprennbahn Hoppegarten besucht - ein Schmuckstück vor den Toren Berlins mit langer Tradition.

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Galopprennen in Berlin-Hoppegarten
Bild: picture-alliance/dpa

Irgendwo in der Bibel steht - wenn ich mich nicht täusche - dass man zu Ehren seines Schöpfers am Sonntag zum Pferderennen gehen soll. Bei schönem Wetter mache ich mich also auf nach Hoppegarten, zur einzigen Galopprennbahn unweit der deutschen Hauptstadt. Ich war schon oft da und auch heute nutze ich die 40-minütige S-Bahn-Fahrt in den hübschen Vorort Berlins, um emsig das Rennblatt zu studieren. Diesmal bin ich außerdem mit einem befreundeten Paar aus den USA verabredet. Ich möchte ihnen eine der wenigen fast touristenfreien Attraktionen Berlins zeigen.

Ich mag Hoppegarten sehr gerne - und das liegt nicht nur daran, dass ich hier schon einige Male Geld gewonnen habe. Die Rennbahn existiert seit 1868 und ihr historischer Charme erschließt sich dem Besucher gleich bei der Ankunft. Die 1922 erbaute Haupttribüne in rotem Backstein ist ein Prachtexemplar der Neuen Sachlichkeit. Die Holzbuden davor, wo man von Bratwurst über Zuckerwatte bis hin zu Erdbeerpunsch und handgemachten Kartoffelchips alles kaufen kann, sind ein Traum für jeden Nostalgiker. Dazwischen immer mal wieder feine Damen in bunten Kleidern, Herren mit Spazierstock.

Durch die Geschichte hinweg eine Konstante

Berlin hat mehr Änderungen gesehen als manch andere Stadt, die Rennbahn Hoppegarten aber blieb eine Konstante. Selbst 1944, als die Rote Armee in Reichweite Berlins war, gab es hier noch Rennveranstaltungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Anlage zum Volkseigenen Rennbetrieb Hoppegarten und erfreute sich einer zweiten Blütezeit. Das war zum größten Teil der Verdienst von Artur Boehlke, der die Rennbahn viele Jahrzehnte leitete.

Die Galopprennbahn Hoppegarten Totalisator-Tribüne im Jahre 1908
Am Sonntag auf die Rennbahn - Hoppegarten 1908Bild: Archiv Gerd von Ende

"Damals in der DDR kamen sogar noch mehr Besucher als heute", erzählt er mir. Boehlke ist inzwischen Mitte siebzig. Kommunismus hin oder hier, führt er fort, Hoppegarten sei immer etwas Besonderes gewesen und habe deshalb seit jeher viele Menschen angezogen. Nach der Wende überlebte die Rennbahn nur mit Ach und Krach - und dank Artur Boehlkes Talent, unermüdlich Sponsoren anzubetteln. 2008 erhielt er dafür das Bundesverdienstkreuz. Im selben Jahr kaufte ein Hedge-Fond-Manager die Anlage und hält sie seitdem mit seinem Privatvermögen über Wasser.

Beliebt bei jungen Menschen

In den Tribünenlogen sieht man Herren in Sommeranzug und Frauen mit extravaganten Hüten Schampus schlürfen. Der harte Kern des Hoppegartener Publikums aber kauft sich Stehplätze und macht es sich bequem auf dem Rasen vor der Zielgeraden und in der Nähe der Ziellinie. Besonders populär sei die Rennbahn unter den 20- bis 30-Jährigen, erzählt mir der jetzige Direktor Stephan Buchner: "Die jungen Menschen lieben es, sich beim Picknick vor dieser edlen Kulisse zu treffen."

Picknick auf der Galopprennbahn in Berlin-Hoppegarten
Stilvoll auf den preiswerten Plätzen: Picknick auf dem RasenBild: picture-alliance/dpa

Und auch ich treffe heute jemanden. Noch bevor ich meine Freunde aus den USA gefunden habe, laufe ich einem Bekannten über den Weg - dem Schweizer Fotografen Benjamin Füglister, der gerade ein Buch über Hoppegarten und zwei andere pittoreske Rennbahnen in der Mache hat.

Ein Blick hinter die Kulissen

Benjamin nimmt mich, mein befreundetes Paar und deren zwei Kinder mit hinüber zu den Ställen, hinter das Clubhaus des Rennvereins. Offiziell dürfen wir gar nicht hier sein, aber das kümmert niemanden. Aus nächster Nähe traben die Pferde an uns vorbei, schwer schnaubend und durchnässt von der Kurzdusche nach dem Rennen. Die Ställe stammen aus der DDR-Zeit, mich aber erinnern sie irgendwie an einen romantischen Hof im Mittelalter.

Die Galopprennbahn Hoppegarten
In den Ställen haben Besucher keinen ZutrittBild: DW/J.Chase

Zurück auf der Haupttribüne zeigen Ben und ich den Amis, wie man einen deutschen Wettschein ausfüllt. Ich schlage ihnen eine Dreier-Kombi vor. Dabei tippt man, wer die ersten drei Pferde im Ziel sein werden, die Reihenfolge ist egal. Wir stellen uns am Wettschalter an - hinter einer Omi mit Rollator, zwei Typen mit Nacken-Tattoos und einer aufgetakelten Frau, die wild mit ihrem Handy herumfuchtelt. Vielleicht bekommt sie übers Telefon gerade Wett-Tipps zugeflüstert, wer weiß.

Anfängerglück

Nachdem wir alle gewettet haben, schauen wir das Rennen an. Die 2400 Meter lange, ovale Rennbahn liegt vor einem Wald, die Anlage ist gut besucht aber nicht übervoll, es herrscht strahlendes Frühlingswetter. Selten habe ich so eine idyllische Zockerveranstaltung erlebt.

Berlin Hoppegarten Galopprennbahn
Früher ließ der König hier Hopfen anbauen, seit fast 150 Jahren galoppieren die PferdeBild: Frank Sorge/galoppfoto.de

Die Boxengatter fliegen auf, die Pferde stürzen los. Das Sprichwort vom Anfängerglück bewahrheitet sich. Der 13-jährige Sohn meiner Freunde gewinnt 50 Euro - mit dem ersten Wettschein seines Lebens. Wähend seine Eltern und ich noch scherzen, das sei jetzt vielleicht nicht so gut für seine Entwicklung, meint er nur trocken: "Zocken ist voll cool und einfach."

Aber am Ende des Tages liegen außer mir alle leicht im Minus: Trotzdem beschwert sich keiner, als wir die S-Bahn zurück nehmen. Alle lächeln zufrieden, denn egal ob Zocker oder Nicht-Zocker, so ein Nachmittag in Hoppegarten macht einfach Freude. Jenseits der überlaufenen Touristenattraktionen im Zentrum der Hauptstadt hat sich hier draußen ein Stück authentisches Berlin bewahrt, das zugleich viel über die bewegte Vergangenheit erzählen kann.